Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

Machen Muskeln männlich?

Muskeln sind für viele, vor allem jüngere Männer sehr wichtig. Doch das Ideal, dem sie nacheifern, ist unerreichbar und hat mit echter Männlichkeit wenig zu tun.

Wenn man jungen Männern glaubt, dann stehen Frauen auf Muskeln: Neun Kilo mehr Muskelmasse als der Durchschnitt müssten sie schon haben, um Frauen zu gefallen, fand die Mehrheit der männlichen Studenten, die an einer Untersuchung in den USA und Europa teilnahmen. In der gleichen Studie wurden junge Frauen über ihre Präferenzen befragt. Resultat: Die meisten wünschen sich einen Mann mit durchschnittlichem Muskelbau. Wie kommt es dazu, dass die jungen Männer ein so verzerrtes Bild vom Idealmann haben?

Was ist die Rolle des Mannes von heute?

Die Antwort findet sich auf Werbeplakaten und in Fitnessmagazinen, in Comics und in Computerspielen – ja sogar in den Spielzeugkisten moderner Kinderzimmer. Gegen Klein Leolis Kunststoff-Helden macht selbst Arnold Schwarzenegger schlapp. Der Boom des männlichen Superkörpers hängt mit der Emanzipation der Frauen zusammen. Vor fünfzig Jahren konnte ein Mann sich in seiner Rolle als Herr im Haus und Brötchenverdiener noch leicht von der Frau abgrenzen. Heute gestaltet sich die Suche nach der männlichen Identität schwieriger. Verständlich, dass bei dieser Verunsicherung viele auf Muskeln setzen. Muskeln symbolisieren eben Männlichkeit.

Immer mehr Muskeln

Schön und gut. Nur sind die Muskeln in den letzten Jahrzehnten aufs Übernatürliche angewachsen. Als Mark Hamill, Star des Siebzigerjahre-Hits «Star Wars», eine moderne Neuauflage seiner Puppenfigur in der Hand hielt, erschrak er: «Mein Gott, sie haben mich auf Anabolika gesetzt!» Tatsächlich: So wie diese aufgeblasenen Muskelprotze kann ein Mann nur aussehen, wenn er Anabolika nimmt. «Das Verhältnis Muskeln zu Körperfett überschreitet eine von Mutter Natur vorgegebene Grenze, und die übertriebene V-Form der Brust kann man auf natürlichem Weg gar nicht erreichen», erklärt der amerikanische Arzt Harrison Pope, Autor des Buches «Der Adonis-Komplex».

Vorbild Superhero

Bei diesem Ideal überrascht es nicht, dass immer mehr junge Männer unglücklich mit ihrem Körper sind und dass Anabolika immer beliebter werden. Auch bei Jugendlichen. Kinder von heute werden von der Spieleindustrie ja geradezu auf Muskelmänner geprägt. Klein Leoli kann zwischen Ideal und Realität noch nicht unterscheiden: Für ihn sind seine Superhelden die anzustrebende Wirklichkeit. Und wenn Papa, sein wichtigste Vorbild in Sachen Männlichkeit, keine Zeit für ihn hat, werden sie noch wichtiger.

Anabolika mindern die Potenz

A propos Männlichkeit: Der mit Spritzen und Pillen aufgeputschte Muskelprotz, der Plakate und Fitnessheftli ziert, ist gar nicht so männlich. Zu den vielen gesundheitsschädigenden Nebenwirkungen von Anabolika gehören eine geschwächte Potenz, eine verminderte Spermienzahl und schrumpfende Hoden. Wer das für eine starke Hülle in Kauf nimmt, dessen männliche Identität steht wahrlich auf wackligen Füssen.

Wohlfühlen macht männlich

Umgekehrt strahlt der schmächtige Familienmann, der zu seiner sensiblen Seite steht, viel mehr Selbstbewusstsein aus. Denn er bestimmt ganz allein, was Männlichkeit für ihn bedeutet. Und er fühlt sich in seiner Haut als Mann wohl. Das ist es letztlich, was ihn für Frauen attraktiv macht.

Falls Sie sich zu schmächtig fühlen: