Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
23.03.2006
Lassen Sie Ihr Kind im Haushalt mithelfen. Denn erfolgreich ausgeführte Ämtli stärken das Selbstbewusstsein.
Viele Kinder werden heutzutage daheim von vorne bis hinten bedient. In Schweizer Haushalten muss nämlich bloss jedes dritte Kind zwischen 7 und 14 mithelfen. Das steht in einer Studie des Forschungsdienstes der SRG aus dem Jahr 2004. Oft liegt der Grund dafür im schlechten Gewissen der Eltern, weil sie so selten für die Kinder da sind. Oder weil sie Konfliktsituationen lieber aus dem Weg gehen. Oder weil sie einfach keine Geduld haben. Schliesslich läuft der Laden schneller und besser, wenn der Nachwuchs nicht mitmischt.
Das Heim als Übungsfeld
Doch: «Wo ist das Übungsfeld für das Leben?», fragt der Erziehungswissenschafter Albert Wunsch, Autor des Buchs «Die Verwöhnungsfalle». Wer die Kindheit als Schonzeit erlebt, dem fehlt das Rüstzeug für später. Das Zuhause ist das erste und beste Übungsfeld fürs Leben. Ein Kind, das Aufgaben übernimmt, lernt, dass sein Handeln auch von äusseren Notwendigkeiten und von den Wünschen anderer diktiert wird. Einem solchen Kind gelingt es später besser, sich in einer Gruppe einzugliedern. Und es lernt, Unangenehmes durchzuhalten.
Davon abgesehen wird es unabhängiger und selbstsicherer. «Für die Entwicklung eines Kindes ist es entscheidend, dass die Sicherheit, die die Mutter spendet, allmählich durch Selbstsicherheit ersetzt wird. Diese Sicherheit gewinnt das Kind dadurch, dass es Dinge kann», erklärt Doris Bischof-Köhler, Münchner Professorin für Entwicklungspsychologie. Wer also von klein auf daheim mithilft, kriegt dieses Vertrauen in sich selbst ganz nebenbei mit auf den Weg. Eine Binsenwahrheit, aber: Die Eltern sind die wichtigsten Vorbilder. In ihren Pflichten und Verantwortungen sehen die Kinder Privilegien, die sie nachahmen wollen.
Und zwar schon sehr früh: «Im zweiten Lebensjahr entwickeln Kinder Stolz. Sie sind jetzt unglaublich motiviert zu helfen», so Doris Bischof-Köhler. «Und genau diese Motivation lässt sich über die Jahre retten und ausbauen.» Dabei müssen die Eltern Geduld und Feingefühl zeigen. Denn: Eine Fähigkeit erlernen heisst, zu üben und Fehler zu machen. Der Orangensaft landet auf dem Tischtuch, der wichtige Brief fällt in die Pfütze. Und wenn schon, es macht unglaublich stolz und motiviert, wenn die Eltern einem etwas zutrauen und das eigene Tun trotz Mängel anerkennen. Klar, dass sie in brenzligen Situationen helfend beistehen, ohne dem Kind seine Aufgabe abzunehmen. So verliert es die Scheu davor, Neues anzupacken und Fehler zu machen.
Mit gutem Beispiel voran
Um ihre Sprösslinge durch ihre Mithilfe im Haushalt fürs Leben fit zu machen, müssen die Eltern also Zeit und Geduld in-vestieren. Nicht zuletzt aber sollten sie den Kindern vorle- ben, was Gemeinschaftsarbeit heisst. Es ist kaum motivierend, wenn sich ein Elternteil wie ein Pascha bedienen lässt oder wenn die Eltern sich ständig über die Hausarbeit streiten. Wer schon im zarten Alter von drei daran gewöhnt wird, seinen Teller abzuräumen, wird später auch selbstverständlicher den Tisch abdecken.
Buchtipp: «Die Verwöhnungsfalle», Albert Wunsch, 29.10. Fr., Kösel-Verlag.