Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

08.12.2005 9

Entspannt ans Familienfest

Familienanlässe sind oft mit Stress verbunden. Wer die Fettnäpfchen kennt und ein paar Tricks dazu, kann die Treffen besser geniessen.

Wenn man weihnachtlichen Werbespots glaubt, sind Familienanlässe etwas Wunderschönes. Die Wahrheit sieht für viele weniger rosig aus. Statt Harmonie erleben sie Krach und Krisen. Warum? Ganz einfach: Familienmitglieder sind Gewohnheitstiere. Jedes Mitglied hat seinen Platz und seine Rolle. Wenn zwei solche Gewohnheits-tiere einander besuchen, kommen sich Regeln, Rollen und Routinen in die Quere. Die eine Familie isst gern mittags gross, die andere abends. Mama managt zu Hause den Laden, am Familienanlass findet Oma, sie habe das Sagen. Das ist stressig.

Väter werden zu Kindern

Die festgefahrenste Konstellation herrscht in der Herkunftsfamilie. Da stecken etablierte Erfolgsfrauen plötzlich wieder im Ablösungsdilemma mit ihrer Mutter, und gestandene Familienväter rivalisieren um die Gunst ihres Vaters. Plötzlich ist man wieder Sohn, Tochter, Bruder, Schwester. Und all die kindlichen Sehnsüchte und Ansprüche kommen hoch. Besonders heikel wirds an Weihnachten, wenn wir alle heimlich dem Kind in uns nachtrauern und emotional auf der Kippe stehen.

Damit Familienanlässe erfolgreich über die Bühne gehen, muss man sie also bedacht angehen und gewisse Regeln der Stressvermeidung befolgen: Gewohnheitstiere sollten einander nur in Raten ausgesetzt werden, damit sie im Trubel wieder zu sich finden können. Statt zwei Tagen bei Oma reicht ein Nachmittag. Und den Znacht bei Tante Frieda sagt man ab, weil am Morgen Brunch bei Onkel Leo ist. Am Fest selbst vermeidet man alles, was noch mehr Stress macht. Man muss weder Fünfgangmenüs zaubern noch die ganze Tischdekoration eigenhändig basteln.

Im Umgang miteinander sind Samthandschuhe angesagt. Jetzt pfuscht man niemandem ins Handwerk und spricht auch keine heiklen Themen an. Frieda kämpft mit den Kilos, Mamas Ältester macht Ärger? Darüber sollte in der Gruppe Schweigen herrschen. Wer sich selbst kritisiert oder blossgestellt fühlt, kann Provokationen mit einem nachdenklichen «Du könntest Recht haben» oder «Ich werde mir das überlegen» im Keim ersticken. Toleranz wirkt Wunder. Onkel Leo prahlt ständig von seinem Erfolg? Na und – er steht halt unter Stress. Merke: Nur weil andere sich unmöglich benehmen, muss man es selbst nicht auch.

Frischluft hilft

Das heisst nicht, dass man, die Luft anhaltend, still vor sich hin zu leiden hat. Denn dann ergiesst sich der Frust auf der Heimfahrt garantiert über den unschuldigen Ehepartner. Nein, gescheiter ist, man baut die Spannung am Fest selbst ab. Zwei Dinge helfen nicht: Alkohol und Langeweile. Besänftigend sind indes frische Luft, Bewegung, Spiele, Puzzles und alle Aktivitäten, die ablenken und bei denen man sich konzentrieren muss.

Ein Wundermittel schliesslich ist der Rückzug in sich selbst. Inmitten des Festtagstrubels geht die eigene Person gerne vergessen. Und darum sollte sich bei Bedarf jeder und jede ohne Schuldgefühle ins Bad, ins Bett, in die Bibliothek oder sonst wohin verziehen, wo er sich in aller Ruhe Zeit lassen kann, wieder zu sich selbst zu finden.

Leitlinien fürs Beisammensein