Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
20.10.2005 2
Abends wollen viele Jugendliche nicht ins Bett, und morgens sind sie nicht wach zu kriegen. Schuld am neuen Schlafrhythmus sind die Hormone.
Morgens braucht es zwei gleichzeitig schrillende Wecker, um Roger aus dem Bett zu kriegen. Vormittags schlurft er gähnend durch die Gegend, nachmittags wird er langsam wach, und abends, wenn Normalsterbliche sich nach den Federn sehnen, dreht er so richtig auf. Roger ist 16. Er steht für unzählige Teenager auf dieser Welt. «Wieso tun sie uns das an!», ärgern sich weltweit die Eltern. Ja, wieso? Wollen sie den Eltern damit eins auswischen?
Die innere Uhr umgestellt
Nein, Grund der vermeintlichen Tyrannei ist die innere Uhr. Der Schlaf-Wach-Rhythmus verschiebt sich in der Pubertät hormonbedingt, und zwar um etwa zwei Stunden. Wo ein kindlicher Organismus morgens um 7 hellwach ist, ist der jugendliche bis um 9 auf Schlaf eingestellt. Abends hingegen produziert er oft erst ab 23 Uhr das Schlafhormon Melatonin.
Wenn aus Kindern Jugendliche werden, verwandeln sie sich von «Lerchen» in «Eulen». Es wäre daher sinnvoll, Pubertierende – wenn immer möglich – morgens länger in den Federn zu lassen. Denn sie brauchen im Schnitt neun Stunden Schlaf pro Nacht. Es gibt bereits Schulen in den USA, die ihren Stundenplan auf dieser Erkenntnis aufbauen und in der Folge bessere Noten und weniger Depressionen verzeichnen.
So weit ist man in der Schweiz noch nicht: Roger hängt schon um 7 Uhr 20 in der Schulbank und baut im Verlaufe der Woche ein massives Schlafmanko auf. Die Genussmittelindustrie stellt ihm allerlei «Helferchen» bereit: Roger übersteht seine Tage mit Zigaretten und koffeinhaltigen Energydrinks. Und weil er ein normaler Teenager ist, braucht er den Kontakt mit Gleichaltrigen wie die Luft zum Atmen. Ausgang ist also angesagt. Dort locken ihn Pillen und Alkopops, die ihn nachts noch länger wach halten.
Was können Rogers Eltern tun? Erstens Verständnis zeigen: Rogers Schlafverhalten, so verquer es ist, widerspiegelt ein normales Entwicklungsstadium. Wenn sie dagegen ankämpfen, bewirken sie bloss, dass Roger gegen sie rebelliert, indem er einen noch extremeren Lebenswandel zelebriert. Ganz abgesehen davon, dass Streit um die Bettzeit ungefähr so schlaffördernd ist wie ein dreifacher Espresso.
Aufklären hilft weiter
Zweitens sollten Rogers Eltern ihn dabei unterstützen, selbst Verantwortung für sich und seinen Körper zu übernehmen. Roger sollte wissen, wie sein Schlaf funktioniert und wodurch er gestört wird. Etwa durch spätabendliches Fernsehen, Computerspielen, Surfen oder Lernen. Oder durch Zigaretten und sonstige Aufputscher nach dem Mittagessen. Regeln wie «Um Mitternacht bist du zu Hause» oder «Du schläfst nicht bis nach Mittag» helfen ihm dabei, seinen Rhythmus unter Kontrolle zu halten.
Ebenso wichtig ist es, verantwortliches Verhalten durch Lockerung der Zügel zu belohnen. Wenn Rogers Leistungen zufrieden stellend sind, ist es im Prinzip völlig egal, wie und wann er schläft und ob er Samstagnacht feiert und den Sonntag im Bett verbringt. Das ist eben sein Rhythmus. Irgendwann nach dem 20. Geburtstag wird sich dieser von ganz allein wieder normalisieren.