Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

13.10.2005 1

Gefährliches Spiel

Wer Gerüchte verbreitet, kann ungeahnten Schaden anrichten. Dabei ist es ein Leichtes, sich gar nicht erst in die Gerüchteküche zu begeben.

«Hast du gehört? Anton und Berta haben eine Affäre!» – «Nein! Von wem weisst du das?» – «Cäsar hat die beiden gesehen!» – «Wirklich? Die arme Dora! Wenn die wüsste, mit wems ihr Anton treibt!» Ja, wenn sie wüsste. Und: Wenn Anton und Berta es wüssten. Tatsache ist, dass die beiden sich letzten Freitag zu einem Drink in der Bar trafen. Genau das hat Cäsar gesehen. Mehr nicht. Alles Weitere ist Gerücht.

Gerücht und Wahrheit unterscheiden sich oft erheblich. Man denke an das alte Kinderspiel, wo ein Satz von Ohr zu Ohr geflüstert wird und am Ende völlig verfremdet ist. Und das, obwohl alle versuchen, das Gehörte genau wiederzugeben. Beim Verbreiten von Gerüchten passiert Ähnliches. Nur dass hier weniger auf Genauigkeit geachtet wird: Der Erzähler vermischt Gehörtes mit seiner Interpretation und gibt dem Zuhörer mit allerlei Andeutungen Futter zum Weiterspinnen – und Weitererzählen – der Geschichte.

Die Macht des Erzählers

Gerüchte gibts, seit der Mensch reden kann. Wir lieben sie halt, diese Geschichten, die wir zwar selbst nicht erleben möchten, die uns aber aus unserem Gefühlstrott wecken. Und wenn wir sie weitererzählen, geniessen wir die Macht über die gebannten Zuhörer und sonnen uns in ihrer Aufmerksamkeit. Wir stehen im Zentrum, ohne uns Blösse zu geben. Denn wir erzählen ja nicht von unseren eigenen Eskapaden, Ausrutschern und Missgeschicken.

Das hatte, ganz früher, mal einen guten Zweck: Unseren Steinzeitvorfahren halfen Gerüchte beim Überleben. Wer Übles über andere verbreitete, sorgte dafür, dass ihr Ansehen sank und er selbst besser dastand. Das sicherte seine Position in der Gruppe. Noch heute haben wir ein spezielles Interesse für schlechte Nachrichten über Leute, die uns nicht besonders nahe stehen: Noch heute wittert unser Steinzeithirn in ihnen Konkurrenten im sozialen Überlebenskampf.

Gerüchte schaden denen, über die sie erzählt werden. Sie unterscheiden sich von der Wirklichkeit und greifen doch in sie ein. So wurde etwa der Schweizer Botschafter Thomas Borer in Berlin abgesetzt, als die Medien ihm eine Affäre nachsagten. An diese wird man sich noch lang erinnern. Dass sie, wie sich herausstellte, nie stattfand, wird man schneller vergessen: Zu schön ist die pikante Story.

Besser aus erster Hand

Gerüchte, so lautet die gängige Meinung, seien dazu da, weitererzählt zu werden. Doch diejenigen, die bei diesem Spiel mitmachen, sind für die Verbreitung des Lauffeuers mitverantwortlich. Das Feuer lässt sich leicht löschen: Indem wir grundsätzlich nur das glauben, was ein Erzähler über sich selbst berichtet. Denn was jemand über eine Drittperson «weiss», entpuppt sich bei Nachfragen oft als blanke Vermutung und gehört in die Schublade «wertlos» abgelegt. Wie etwa Cäsars Aussage über Anton und Berta.

Zudem hilft es, sich an die Devise «Wenn du nichts Gutes über jemanden zu erzählen hast, erzähle es nicht» zu halten. Ein besseres Mittel gibt es nicht, niemandem zu schaden. Dafür ist eine Portion Disziplin nötig.

Aber wir leben ja auch nicht mehr in der Steinzeit.

So vermeiden Sie Gerüchte