Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

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Wir sind nicht in Stein gemeisselt

Wir Menschen werden von unseren Eltern und der Gesellschaft nachhaltig geprägt. Trotzdem können wir uns entwickeln. Wenn wir wollen.

Mit zunehmendem Alter rutscht uns öfter mal der Satz heraus: «Ich bin so, wie ich bin, ich kann mich nicht mehr ändern.» Wir tun so, als seien wir in Stein gemeisselte Figuren. Verständlich. Schon bei der Zeugung setzten uns unser Erbgut seinen Stempel auf. Dazu kommt der Einfluss der Sterne – zumindest für die, die daran glauben. Und dann sind da Jahre und Jahrzehnte Leben mit unseren Eltern und Mitmenschen, die uns zu dem machten, was wir heute sind. Und deren Einfluss war nicht immer besonders förderlich.

Die anderen sind schuld - oder?

Da gab es Väter, die uns einbläuten: «Aus dir wird nie was!» Mütter, die die Schwester bevorzugten. Ex-Ehemänner und -frauen, die uns Übles antaten. Lehrer und Chefs, die uns fertig machten. Da liegt es nahe, ihnen die Schuld für das zu geben, worunter wir heute leiden: unter unserem miesen Selbstvertrauen, unseren Süchten und Verhaltensweisen, auf die wir nicht besonders stolz sind. «Ich kann mich nicht mehr ändern», sagen wir und schliessen daraus, dass die anderen sich ändern sollen: Die Ehemänner. Die Eltern. Die Gesellschaft. Ja, nur wie denn? Wenn wir es schon selbst nicht können?

Der Mensch ist entwicklungsfähig

Können wir es wirklich nicht? Falsch, sagt die Hirnforschung: Das Gehirn, so es gefordert wird, bildet bis ins hohe Alter neue Zellen bildet. Falsch, sagen immer mehr Psychologen, die in Studien zur Erkenntnis gekommen sind, dass die Persönlichkeit ein Leben lang reifen kann. Falsch, sagen die Altersforscher, die gar die Ansicht vertreten, dass ein wichtiger Bestandteil des glücklichen Alterns darin liegt, immer Neues auszuprobieren und sich weiterzuentwickeln.

Verändern geht - wenn man will

Der Mensch kann also ein Leben lang an seiner Persönlichkeit herummeisseln. Und zwar trotz der Umstände, die ihn geprägt haben. «Entscheidend ist, was er aus dem macht, das man aus ihm gemacht hat», sagte schon der Philosoph Jean-Paul Sartre. Unsere Eltern, Lehrer und Ex-Ehemänner – sie alle sind von gestern; die Macht, die sie damals über uns hatten, haben sie heute nur noch in unserer Vorstellung. Wer meint, sich nicht weiterentwickeln zu können, will sich nicht weiterentwickeln. Dazu sollte er stehen. Das ist sein gutes Recht.

Veränderungen sind unbequem

Veränderungen sind denn auch etwas Unbequemes – ein neuer Job, ein Tapetenwechsel, der Abschied von einer alten Gewohnheit, eine neue Art, auf den Partner zuzugehen... Wann immer der Mensch fremdes Territorium betritt, holpert es in seinem Gehirn erst mal gehörig, bis es in den neu aktivierten Bahnen ganz allmählich zum vertrauten Trott findet. Dieser Prozess ist so unangenehm wie beängstigend, und es ist nachvollziehbar, dass manche dafür die Unterstützung von Beratern oder Therapeuten wählen.

Mut zur Unbeholfenheit

Doch genau das Zulassen dieser Unbeholfenheit und Unsicherheit sind die Nahrung, die neue graue Zellen und Nervenverbindungen zum Wachsen bringen, die das Gehirn fit und seinen Besitzer in Bewegung hält. So sehr er dem urmenschlichen Wunsch nach Sicherheit widerstrebt, der Satz «Leben ist sich verändern» hat in jeder Hinsicht seine Richtigkeit.

So können Sie sich weiterentwickeln