Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

18.08.2005 3

Kumpel oder Partner?

Moderne Seniorinnen haben es nicht nötig, verzweifelt einen Partner zu suchen. Sie sollen zuerst in aller Ruhe eine Freundschaft aufbauen.

«Mann, 70, sucht Frau, 50, schlank, attraktiv, gesund.» Helen legt die Zeitung genervt weg. Sie hat genug von diesen Annoncen. Wie soll sie da eine Chance haben? Sie ist 70 und mollig. Gesund? Chronische Arthritis. Attraktiv? Zu viele Falten, zu viele Narben. Und dann dieser Bauch. Manchmal hört sie die abschätzigen Kommentare älterer Herren über die Körper ihrer flüchtigen Damenbekanntschaften ... Nie soll ein Mann so über sie reden!

Und wenn sie die Senioren dann betrachtet: Bierbäuche, Leiden hier, Wehwehchen dort. «Viele wollen eine Frau, die sie umsorgt, die für ihre Bedürfnisse da ist», findet Helen. Freilich hatten sie das jahrzehntelang. Die Frauen machten mit, sie waren so erzogen worden. Doch viele von ihnen entwickelten sich weiter. Auch Helen: Früh verwitwet, musste sie als allein Erziehende untendurch. Das machte sie stark.

Schluss mit der alten Rolle

Helen lernte, allein zu sein. So gut, dass sie heute gern allein ist. Dass sie ihre Eigenarten nicht mehr aufgeben, sich von keinem Pascha in ihre alte Rolle zurückdrängen lassen würde. Sie will einen Kumpel, der sie als gleichberechtigt ansieht. Mit dem sie reden und lachen und Sachen unternehmen kann. Sex? Muss nicht sein. Nur falls die Sympathie mit der Zeit so gross wird, dass der innere Draht die ästhetische Hülle unwichtig macht und beide bereit sind, wirklich aufeinander einzugehen.

Helens Wünsche entsprechen der Statistik: Wenn Senioren und Seniorinnen Liebespartner werden, dann meist nach einer längeren Freundschaft. Falls «Mann, 70» tatsächlich die schlanke Frau um die 50 findet, die sofort mit ihm ins Bett geht, ist diese leider oft nur in sein Konto verliebt. Will er das? Warum sucht er eigentlich eine Jüngere? Nun, da regt sich bei ihm schneller was, da kann er kurzfristig die altersbedingte Trägheit seiner Potenz vergessen. Aber auf die Dauer wünscht auch er sich eine, die ihn so will, wie er ist – einen Kumpel eben.

In Ruhe etwas aufbauen

Sollte Helen beim nächsten Seniorentreff einen netten Herren kennen lernen, dann heissts: in aller Ruhe eine Freundschaft aufbauen. Über die Monate und Jahre wird sich zeigen, wie der Kumpel denkt, ob er in der alten Männerrolle verhaftet ist oder Lust auf eine gleichberechtigte Partnerschaft hat: Er macht sich rar, wenn sie krank ist? Er stichelt sie wegen ihrer Eigenarten? Er besteht darauf, dass sich der Mann nach der Pensionierung schonen, die Frau aber (im Haushalt) weiterschuften soll? Achtung: So, wie ein Mann als Kumpel denkt, denkt er auch als Partner. Darum sollte dieser Herr besser ihr Kumpel bleiben.

Kann sich Helen ihre Ansprüche bei der Seniorenknappheit leisten? Ja. Sie ist emanzipiert genug und braucht nicht partout einen Partner. Und zu ihren Chancen: Jedes Alter hat seine Attraktivität. Darum sollten sich Seniorinnen nie mit Frauen anderer Generationen vergleichen. Ihre Attraktivität wurzelt in Selbstvertrauen, Humor, Optimismus und Eigenständigkeit. Mit dieser Ausstrahlung mag Helen ein paar Paschas verscheuchen. Aber sie hält die Tür offen für den Mann, der ihr wirklich entspricht.

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