Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

18.08.2005 3

Sie finanziert, er profitiert

Wenn sie ungewollt für seinen Unterhalt aufkommt, dann stimmen vielleicht früher getroffene Arrangements nicht mehr. Verhandeln Sie neu.

Sie fand ihn toll. Diesen Bohemien, diesen unkonventionellen Lebenskünstler, dessen höchstes Ziel es war, jeden Tag zu geniessen. So denkt er heute noch – nach fünf Ehejahren. Sie hingegen findet das gar nicht mehr toll. Denn eine geregelte Arbeit verträgt sich nicht mit seinem Lebensstil. Fazit: Sie kommt finanziell für ihn auf. Und fühlt sich ausgenützt.

Kein Zweifel: Sie muss mit ihm reden. Und sich davor überlegen, ob ihr Frust berechtigt ist. Liebe bedeutet ja immer ein Geben und ein Nehmen, und die Frage ist, ob sie tatsächlich mehr gibt und er mehr nimmt. Geld ist das eine – steuert er vielleicht anderes zur Liebe bei? Ist er ihr Kummerkasten? Besorgt er ihr den Haushalt? Bringt er sie zum Lachen? Verwöhnt er sie mit Massagen? Inspiriert er sie mit seinen Gedanken? Mit anderen Worten: Stimmt das Gleichgewicht in der Beziehung, und sein Beitrag sieht einfach anders aus als der des traditionellen Mannes?

Erwartungen überprüfen

Sie sollte sich auch fragen, mit welchen Erwartungen sie in die Ehe gegangen ist und ob diese berechtigt waren. Hat er ihr von Anfang an gesagt, dass er für eine Karriere nicht geschaffen sei, und hat sie sich heimlich gedacht: «Wenn er mich heiratet, wird er schon noch umdenken»? Und ist jetzt enttäuscht, weil er ein Mann ist, der zu seinem Wort steht? Oder hat er ihr im Gegenteil das Blaue vom Himmel herunterversprochen – er sei «unmittelbar vor dem Durchbruch», das «grosse Geld» winke –, und sie ist auf einen Schaumschläger reingefallen, der sich jetzt von ihr verwöhnen lässt, als sei sie seine Mutter?

All diese Überlegungen helfen ihr, die Situation realistisch einzuschätzen. Vielleicht gibt er gar nicht weniger als sie, doch sie braucht heute etwas anderes als vor fünf Jahren. Was das ist, sollte sie ihn wissen lassen. Ohne ihm Vorwürfe zu machen und ohne sich zu rechtfertigen. Zum Beispiel so: «Für mich stimmt unser Arrangement nicht mehr. Ich brauche mehr Ausgleich zur Arbeit. Ich würde gern reduzieren. Das kann ich nur mit deiner Unterstützung.»

Neue Lösungen suchen

Wenn er sie liebt, wird er bereit sein, ihr entgegenzukommen und daran zu arbeiten, das Arrangement so umzugestalten, dass es für sie wieder besser stimmt. Auch wenn er dabei ein bisschen von seinem Lebensstil aufgeben muss. Und wenn er dazu nicht bereit ist? Wenn er allerlei Ausreden findet, warum er nicht «kann»? Oder sie mit einem weiteren «todsicheren» Projekt vertröstet, das in Planung sei? Oder versucht, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen? Oder sie gar mit den Worten «Du liebst mich nicht» erpresst?

Was dann? Dann muss sie sich fragen, ob sie mit einem Mann zusammen sein will, der sie nur zum Stillen seiner Bedürfnisse braucht. Gerade wenn sie ihn liebt, wird das dauernde Ungleichgewicht für sie zu schmerzvoll sein, und sie sollte eine Trennung erwägen. Das heisst nicht, dass sie ihn mit gar nichts auf die Strasse wirft. Sie kann ihn einige Monate lang unterstützen. Doch dann sollte sie einen Strich ziehen. Sich selbst zuliebe. Er wird einen anderen Geldhahn finden – oder endlich zur Selbständigkeit finden. Weil er muss.

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