Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

14.07.2005 8

Die Kunst des Alterns

Wer Ja sagt zu seinem Alter und den Grenzen, die es mit sich bringt, führt auch im letzten Lebensabschnitt ein erfülltes Leben.

Menschen erreichen ein immer höheres Alter. Gleichzeitig fürchten viele jüngere Leute jede neue Falte, als sei das Alter eine Krankheit und kein Lebensabschnitt, der seinen Sinn und seine Verdienste hat. Eine 25-Jährige schlägt eine 75-Jährige zwar in Sachen schnelles Auffassen oder Kurzzeitgedächtnis. Doch das schnelle Denken der Jugend kann auch Nachteile haben. Etwa dann, wenn Ausdauer, Klugheit und Besonnenheit gefragt sind.

Dank ihrer Lebenserfahrung vermögen ältere Menschen besser, das Unwesentliche herauszufiltern und das Wesentliche zu begreifen. Ein 25-jähriger Liebhaber kann zwar immer, und doch erlebt ein 75-Jähriger mit seiner Partnerin unter Umständen Momente höherer Erfüllung. Ein Stürmer ist er nicht mehr. Viel eher ein erfahrener Mittelfeldspieler, der nicht nur Tore im Kopf hat, sondern versteht, worum es beim (Zusammen-)Spiel wirklich geht.

Individuelle Wahrnehmung

Den Verdiensten des Alters stehen die Grenzen gegenüber, die der körperliche Alterungsprozess mit sich bringt. Dieser wird von jedem Menschen anders erlebt. Wie alt sich jemand fühlt, hängt einerseits von seiner Gesundheit ab und andererseits von seiner seelischen Verfassung. Die ist in der Regel bei denen besser, die gute Beziehungen haben, sich selbst entfalten können und etwas Sinnvolles tun.

Im steigenden Alter sind soziale Kontakte oft rar. Umso wichtiger wird daher die Beziehung zu sich selbst. Mit sich und seinem Alter im Reinen zu sein, hilft dabei, zu sich zu stehen und das zu tun, was man wirklich tun will. Unabhängig von der gängigen Meinung darüber, was eine alte Frau oder ein alter Mann (nicht) tun sollte. Sondern ganz nach dem Motto: «Ich hab nicht mehr so viel Zeit, ich will sie geniessen.»

Ja, es geht tatsächlich nicht mehr alles, und es geht auch nicht mehr so schnell. Der Berliner Altersforscher Paul Baltes sagt, wie die persönliche Entfaltung trotzdem möglich ist: «Man beschränkt sich auf weniger, man steckt mehr Energie in dieses Wenige, und man sucht nach Methoden, um auftretende Schwächen wettzumachen.» Er nennt als Beispiel den Pianisten Arthur Rubinstein: Mit 80 spielte der nur noch wenige Stücke. Diese übte er umso häufiger. Da er nicht mehr so schnell spielen könnte, drosselte er vor rasanten Passagen das Tempo, was die folgenden Läufe viel schneller erscheinen liess, als sie eigentlich waren.

Andere Ziele setzen

Rubinstein fand bis ins höchste Alter Erfüllung im Klavierspiel. Sein Geheimnis? Er verabschiedete sich von dem Ideal des Hochleistungssportes auf den Tasten und sagte «Ja» zu dem, was er noch konnte. Es ist für viele eine grosse Herausforderung, sich von früheren Idealen zu trennen. Doch wem dies gelingt, der entdeckt womöglich im Weniger das Mehr.

Denn es ist gut möglich, dass das Gärtchen immer kleiner wird, das man hegt. Doch der Gärtner ist ebenso beschäftigt und gefordert wie früher, und er hat ebenso das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Das macht ihn zufrieden. Vielleicht zufriedener als früher. Denn heute pflanzt er nicht mehr wahllos an. Die Blumen, die er jetzt heranzieht, gefallen ihm wirklich.

Tipps für mehr Eigenliebe