Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
09.06.2005 3
Vordrängler, Menschen, die in ihr Handy brüllen, unfreundliches Personal: Es gibt immer wieder Menschen, die einen zur Weissglut bringen. Einige Tipps, wie Sie in jeder Situation die Ruhe bewahren.
Der Vordrängler
Das Problem: Es ist fünf Uhr nachmittags. Sie warten geduldig in der Schlange, da drängelt sich plötzlich jemand vor Sie.
Die Lösung: Vergewissern Sie sich zuerst, ob Sie wirklich in einer Schlange stehen. Wenn ja, sagen Sie freundlich: «Entschuldigen Sie, dies ist eine Schlange. Und dort hinten ist das Ende.» Entweder verzieht sich die Person nach hinten (sie hat vielleicht wirklich nicht gesehen, dass sich eine Schlange gebildet hat), oder sie kontert mit einer mehr oder weniger plausiblen Erklärung, warum sie vor Ihnen stehen sollte. Lassen Sie ihr in diesem Fall den Vortritt.
Nutzen Sie die gewonnene Zeit, um sich zu überlegen, warum Sie eigentlich so im Stress sind – offenbar so sehr, dass Sie nicht zwei Minuten länger warten können. Beziehen Sie in einer Schlange im Übrigen immer klar Position, schliessen Sie also zügig auf und stehen Sie nicht zögernd herum. Sonst provozieren Sie das Vordrängeln der anderen.
Missmutiges Personal
Das Problem: In der Boutique morgens um halb elf steht eine Verkaufsperson gelangweilt herum. Auf Ihre Bitte, Ihnen bei der Auswahl behilflich zu sein, lässt sie sich hochnäsig dazu herab, gerade mal das Nötigste zu tun.
Die Lösung: Bevor Sie Ihre Meinung über die Verkaufsperson auf den ganzen Laden übertragen, bedanken Sie sich und wenden Sie sich einer anderen Verkaufsperson zu – die Chance ist gross, dass Sie besser bedient werden. Falls das Verhalten der Verkaufsperson jenseits von Gut und Böse war, fragen Sie nach der Abteilungsleitung und drücken Sie ihr gegenüber Ihren Missmut aus.
Im Übrigen gilt: Wenn Sie in die einzige Schweizer Boutique Ihrer Lieblingsmarke gehen, müssen Sie das Personal eher so nehmen, wie es ist, und ihm besonders freundlich gegenübertreten. Denn Sie brauchen die Boutique zur Erfüllung Ihrer Wünsche. Wenn Sie hingegen in der Nachbarboutique das Gleiche kriegen, sind Sie als Kunde König: Die Boutique braucht Sie zum Überleben – und umso freundlicher benimmt sich in der Regel auch das Personal.
Der Hotline-Service
Das Problem: Sie sitzen vor Ihrem Computer, der gerade den Geist aufgegeben hat. Endlich sind Sie an der Telefon-Hotline zu einem Angestellten durchgedrungen. Dieser ist der Inbegriff des Überheblichen und Unverständlichen.
Die Lösung: Gutes Hotline-Personal weiss, dass der Missmut eines Menschen am ehesten verpufft, wenn man freundlich und höflich mit ihm ist. Da Hotline-Angestellte oft schlecht ausgebildet und unterbezahlt sind und sich tagaus, tagein mit Anrufern herumschlagen müssen, die ihnen alle Schande sagen, halten sie sich bisweilen nicht an diese Regel, sondern werden zu normalen Menschen: Sie reagieren in dem Tonfall, in dem sie angesprochen werden – oder sie begegnen Anrufern gar von sich aus mit entnervtem Missmut.
Behandeln Sie Hotline-Angestellte daher freundlich, besonders dann, wenn die Hotline die einzige Rettung für Ihre Misere ist, und sprechen Sie sie als Ihnen überlegene Fachpersonen an: «Leider kann ich Ihnen kaum folgen. Ich bin halt Laie. Könnten Sie mir das vielleicht noch mal erklären?» Falls das nichts bringt, bitten Sie höflich, den Vorgesetzten zu sprechen. Diesem erklären Sie, dass sein Mitarbeiter mit dem Namen x Ihnen bei Ihrem Problem nicht weiterhelfen konnte. Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen, drücken Sie Ihre Wut über den miesen Service erst dann aus, wenn der Vorgesetzte Ihren Computer wieder zum Laufen gebracht hat.
Handylärm
Das Problem: Es ist Büroschluss, und Sie sitzen im Tram. Lauthals posaunt Ihr Sitznachbar in sein Handy – und ignoriert völlig, dass zig ausgelaugte Arbeitsheimkehrer ihre Ruhe wollen und Sie gern Ihren Roman lesen würden.
Die Lösung: Verabschieden Sie sich von dem Wunsch, dass das Tram ein Ort der Stille sei. Hier wird lauthals kommuniziert, und Handys gehören nun mal dazu. Wenn Sie geräuschempfindlich sind, wechseln Sie den Platz, tragen Sie für den Notfall immer Ohrenstöpsel mit sich und steigen Sie in der Sommerzeit aufs Velo um. Verkneifen Sie sich Kommentare wie «Schaffen Sie sich ein Hörgerät an – sonst brauchen die, mit denen Sie telefonieren, bald selbst eins!» – das fühlt sich zwar kurzfristig gut an, doch der Handybesitzer wird beleidigt noch ein paar Phon aufdrehen. Und wer weiss, er könnte morgen Ihr neuer Chef sein. Wenn Sie ihn indes freundlich lächelnd fragen: «Wäre es möglich, etwas leiser zu reden?», besteht die Chance, dass er beschämt herunterdreht – weil er schlicht nicht gemerkt hat, wie laut er war.
Stress auf der Strasse
Das Problem: Ein Auto biegt nach dem Überholen rücksichtslos vor Ihnen ein. Ein anderes kriecht wie eine Schnecke vor Ihnen her.
Die Lösung: Halten Sie sich im Auto immer an die Devise «Der Klügere gibt nach». Atmen Sie tief durch. Lassen Sie sich nicht provozieren. Wenn Sie am Steuer wütend sind, bringen Sie nicht nur andere, sondern auch sich in Gefahr. Behandeln Sie aggressive Fahrer wie unberechenbare Verrückte mit geladener Waffe. Machen Sie ihnen Platz und provozieren Sie sie nicht. Wenn Sie indes von sechs Autos nacheinander aggressiv überholt werden, sollten Sie Ihren Fahrstil überdenken. Dann gehören Sie eventuell zu jenen, hinter denen sich ellenlange Schlangen bilden.
Auch diese Bummler sind gefährlich. Weil sie am Handy hängen und das Gespräch wichtiger als den Verkehr nehmen. Oder weil sie plötzlich bremsen und in die lang gesuchte Abzweigung biegen. Halten Sie Abstand. Und wenn Sie das Gefühl haben, dass immer mehr Trödler vor Ihnen herschleichen, fragen Sie sich, ob Sie selbst zum Raser geworden sind. Schonen Sie Ihr Gaspedal. Wenn Sie statt 90 nur 80 Kilometer pro Stunde fahren, sind Sie in 10 Minuten anstatt in 9 Minuten am Ziel. Diese Minute kann Ihr Leben retten.
Überforderter Service
Das Problem: Neun Uhr abends, Sie sitzen in der Pizzeria. Und zwar mit leerem Magen vor einem leeren Teller – obwohl Sie vor einer Stunde Ihre Bestellung aufgegeben haben. Der Kellner ist kaum herbeizuwinken.
Die Lösung: Falls nicht nur der Service, sondern auch das Essen zu wünschen übrig lässt und Sie auf einen weiteren Besuch der Pizzeria gern verzichten, können Sie sich alles leisten: vom Kein-Trinkgeld-Geben bis hin zur knallharten Zurückweisung der Pizza mit dem Kommentar: «Meine Geschmacksnerven sind während des stundenlangen Wartens verkümmert.»
Falls die Pizzen hier so gut sind, dass Sie gern wieder kommen würden, müssen Sie mehr investieren. Beobachten Sie die Lage. Herrscht Hochbetrieb? Hat Ihr Kellner alle Hände voll zu tun? Dann sind Sie mit Vorteil geduldig und verständnisvoll. Sagen Sie dem Kellner: «Heute ist ja ordentlich was los. Sie wären sicher froh, wenn Sie sechs Hände hätten!» Geben Sie ein gutes Trinkgeld. Sie werden am Service von morgen spüren, wie Sie das Personal heute behandelt haben.
Falls der Kellner offensichtlich nicht überarbeitet, sondern einfach nur faul ist, verlangen Sie ungeniert den Chef de Service. Erklären Sie diesem: «Ich komme immer wieder gern hier her. Das Essen ist vorzüglich. Doch die Bedienung lässt heute arg zu wünschen übrig.» Mit dem Kellner wird garantiert ein Wörtchen gewechselt werden.
Bevor Sie explodieren, atmen Sie zehnmal tief und langsam durch, und überlegen Sie Folgendes:
Ist Ihr Anliegen angebracht? Erwarten Sie zu viel? Vergessen Sie nicht: Sie sind nur einer von vielen, und der andere hat womöglich noch x weitere Sachen am Hals.
Waren Sie zuerst unfreundlich? Die Gefühle, die Sie aussenden, kriegen Sie auch wieder zurück. Behandeln Sie Menschen daher immer so, wie Sie selbst gern behandelt würden.
Nehmen Sie die Dinge zu persönlich und sich selbst zu wichtig? Wenn Sie freundlich sind, sind fremde Menschen nicht wegen Ihnen unfreundlich, sondern haben ihre eigenen Gründe.
Regt Sie etwas auf, weil Sie gerade schlecht drauf sind? Es ist leichter, Unbeteiligten die Schuld an der eigenen Stimmung zu geben, als den wahren Gründen in die Augen zu sehen.
Was bringt Ihnen auf die Dauer am meisten? Je mehr Sie eine Person oder einen Service jetzt oder in Zukunft brauchen, desto mehr Freundlichkeit und Diplomatie müssen Sie investieren.
Ist es den Einsatz wirklich wert? Lassen Sie sich nicht dazu herab, gegen jeden lästigen Zeitgenossen ins Feld zu ziehen. Das läge schlicht unter Ihrem Niveau.