Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

28.04.2005

Unter dem eigenen Hammer

Wer immer deprimiert ist, richtet vielleicht seine Lebensenergie gegen sich, statt sie dafür einzusetzen, aus seinem Leben das Beste zu machen.

Markus fühlt sich seit langem niedergeschlagen und abgespannt. Er weiss nicht, warum. Der Arzt sagt, er sei topfit. Und doch schleppt er sich meist lustlos durch den Alltag. Er hat keine Energie für grosse Sprünge. Die würde er sich sowieso nicht zutrauen. Er findet sich nämlich nicht besonders toll. immer macht er sich Vorwürfe und kritisiert sich selber.

Das erklärt auch seine Niedergeschlagenheit: Er schlägt sich nieder. Er macht sich klein. So unangenehm das ist, es erfüllt auch einen Zweck. Er hält sich im Zaum. Er schützt sich davor, hoch hinauszuwollen. Denn er hat Angst zu versagen. Und unangenehm aufzufallen. Markus will gefallen. Er will nichts tun, was seine Mitmenschen wegtreiben könnte. Denn er fürchtet sich vor der Einsamkeit.

Verdrängte Wut

Er zeigt daher auch nicht, welche Wut in ihm schwelt. Markus verdrängt seine Wut. Dabei sitzt sie tief: Wie jeden Menschen hat ihn nach der traumhaft geborgenen Zeit im Bauch der Mutter die harte Wirklichkeit des Lebens eingeholt. Eine Wirklichkeit, die gezeichnet ist von Enttäuschungen und Ungerechtigkeiten, von Schmerz und Einsamkeit. Da hat er allen Grund, dem nachzutrauern, was nicht mehr ist. Und, wie jeder Trauernde, wütend über den Verlust zu sein.

Wer seine Trauer anerkennt und richtig durchlebt, kommt irgendwann an dem Punkt an, wo er akzeptiert, dass die Dinge nun mal so sind, wie sie sind. Markus trauert nicht richtig. Vielmehr richtet er seine Wut gegen sich und bestraft sich selbst dafür, dass die Dinge nicht so sind, wie er sie gern hätte. Damit führt er sich noch mehr Schmerzen zu. Und hat noch mehr Grund, zu trauern und wütend zu sein.

Der Kampf gegen sich selbst treibt Markus immer weiter weg von der Geborgenheit – immer tiefer in die Einsamkeit. Denn die Mitmenschen wenden sich vom immer Niedergeschlagenen ab. Zudem findet, wer sich selbst Feind ist, keine Geborgenheit in sich. Wer indes mit sich befreundet ist, ist nie einsam – er hat immer sich selbst. Er traut sich auch mehr, weil er eigenständiger ist und nicht um jeden Preis gefallen muss. Er darf es sich leisten anzuecken.

Der Traum vom Sieg

Markus kann in Sachen Lebenskunst viel von den Spielern auf dem Fussballfeld lernen. Am Anfang steht der Traum vom Sieg. Dann kommt mit dem Anpfiff die harte Realität: Torchancen sind selten; noch seltener werden sie in Tore verwandelt – auch vom besten Spieler nicht. Ist dieser deshalb ein Versager? Nein. Gibt er auf und quält sich mit Selbstkritik? Nein: Ein guter Spieler beobachtet den Spielverlauf, lernt dazu und ändert seine Strategie.

Ungeachtet Markus' Vorstellung vom idealen Leben liefert dessen «Spielverlauf» ihm nicht nur Angenehmes, sondern immer wieder auch Schweres und Schmerzvolles. So frustrierend das ist, es bleibt ihm nur, es anzuerkennen und zu akzeptieren. Damit er seine Lebensenergie nicht mehr im Kampf gegen sich verpulvern muss. Sondern damit er sie dazu einsetzen kann, Strategien zu entwickeln, die ihm erlauben, das Beste aus seinem Leben – nicht wie es sein sollte, sondern wie es ist – zu machen.

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