Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

31.03.2005

Wenn Neid an der Liebe nagt

Wenn Sie an Ihrem Partner herumnörgeln, sind Sie vielleicht nur neidisch – auf Eigenschaften, die Sie selbst nicht haben. Lernen Sie umdenken.

Am Anfang zog Maja Renés gelassene Entspanntheit an. René wiederum verliebte sich in Majas Kontaktfreudigkeit. Und heute? Heute nennt sie ihn einen Faulpelz, und er schimpft sie eine Klatschbase. Wie kann es sein, dass die beiden einander genau das vorhalten, was sie anfangs so anzog? Liegt es daran, dass die Verliebtheitsphase vorbei ist? Vielleicht. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass die beiden neidisch aufeinander sind.

Neid und Liebe? Das passt schlecht zueinander. Und doch ist diese Verbindung häufig. Schliesslich sehen Beziehungspartner – besonders diejenigen, die miteinander leben – ständig, was der andere hat, das sie selbst nicht haben. Gerade Menschen, die unsicher sind und sich immer mit anderen vergleichen, spüren schmerzvoll, worans ihnen fehlt.

Den anderen abwerten

Wer Neid empfindet, fühlt sich insgeheim weniger gut als die Person, die er beneidet: Er fühlt sich weniger begabt, weniger gescheit, weniger schön, weniger liebenswert und so weiter. Für dieses «Versagen» schämt er sich. Schamgefühle sind äusserst unangenehm. Da ist es verständlich, dass der Neider sie von sich weist und stattdessen versucht, das schlecht zu machen, worum er den Partner beneidet. Weil er dann in seinen eigenen Augen besser dasteht. Darum wertet Maja Renés Entspanntheit als Faulheit ab, darum wertet René Majas Kontaktfreudigkeit als Klatschsucht ab.

Schade. Denn die beiden könnten von ihren Neidgefühlen lernen. Das müssten sie sie sich nur eingestehen. Wer erkennt, wo er Neid empfindet, kann an sich selbst arbeiten. Er kann sich fragen, ob er sich gewisse eigene Bedürfnisse oder Eigenschaften nicht zugesteht und den anderen dafür beneidet, dass dieser sie sich zugesteht. Maja merkt so etwa, dass sie liebend gern mal wie René ganz entspannt gar nichts tun würde. Die Energie, die sie bis anhin ins Niedermachen der Stärke ihres Partners verpulvert hat, kann sie fortan dafür einsetzen, «Faulheit» zu trainieren.

Den anderen leben lassen

Womöglich merkt der Neider auch, dass er einfach neidisch ist, weil der andere irgendetwas – egal was – hat, was ihm selbst abgeht. Dass er diese Eigenschaft oder Fähigkeit gar nicht wollte, wenn der Partner sie nicht hätte. Und dass er sie auch nie erlangen kann. Weil seine Stärken schlicht woanders liegen. René merkt zum Beispiel, dass er einfach nicht sonderlich gesprächig ist. Sein Ziel sollte sein, zu seinen eigenen Stärken zu stehen und Maja die ihren zu lassen. Im Prinzip muss er lernen, zu sich selbst zu stehen: Das Problem des Neiders ist nicht, dass er schlechter ist als der Beneidete. Sein Problem ist einzig, dass er sich schlechter fühlt.

Neid in der Partnerschaft zeugt nicht von mangelnder Liebe. Er führt nicht in die Entzweiung. In die Entzweiung führt nur, eigene Neidgefühle zu verleugnen und die Unzufriedenheit über die eigene Person gegen den Partner zu richten. Der Partner verdient Ehrlichkeit. Statt einander Faulpelz und Klatschbase zu schimpfen, sollten Maja und René daher ihre Bewunderung für die Stärken des anderen aussprechen. Das zeugt von eigener Stärke – und führt zu Nähe.

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