Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

03.03.2005 09

Darum nützt ein Warum nichts

«Warum hast du denn das gemacht?» Diese vorwurfsvolle Frage hört niemand gern. Am wenigsten dann, wenn er in einer Krise steckt.

Susi ruft eines Abends völlig aufgelöst aus einer Bar ihre Freundin Margrit an. Sie hat hier einige feuchtfröhliche Stunden mit einer neuen Bekanntschaft verbracht. Als sie von der Toilette zurückkommt, ist der Mann weg – mit ihm ihre Tasche. Darin das Geld, die Bankkarte, das Tram-Abo. «Warum um alles in der Welt hast du denn die Handtasche stehen gelassen?», ruft Margrit entgeistert. «Wieso lässt du dich auf einen Wildfremden ein?»

Susi steckt in der Krise, die Freundin fragt sie wieso. Was bringt das? Hilft es Susi, die Handtasche wieder aufzutreiben? Das Bankkonto vor dem Dieb zu sichern? Nach Hause zu kommen? Nein. Die Frage danach, warum jemand in einer misslichen Lage steckt, vermag rein gar nichts dazu beizutragen, dass er einen Ausweg aus der Misere findet.

Keine Anschuldigungen

Die Wörter Wieso und Warum sind alles andere als aufbauend – sie verlangen vom Empfänger vielmehr eine Rechtfertigung für sein Verhalten. Die Frage «Wieso hast du das gemacht?» riecht verdächtig nach Anschuldigungen der Art «Du hättest das nicht machen sollen» oder «Du hast einen Fehler gemacht». Muss das einem Menschen, der sich in eine üble Situation manövriert hat, mitgeteilt werden? Natürlich nicht: Er weiss es selbst bestens. Und doch sind versteckte Anschuldigungen oft das Erste, was Menschen, die von einer Krise hören, einfällt. Weil sie in die Krise mit hineingezogen werden. Statt geruhsam ihren Krimi weiterschauen zu können, muss Margrit Susi beim Problemlösen helfen. Zudem hat sie sich von den Gefühlen der Freundin anstecken lassen, und jetzt geht es ihr zusammen mit Susi mies. Und dafür gibt sie Susi die Schuld.

So nachvollziehbar das ist, so falsch ist es. Denn Susi ist nicht Herrin über Margrits Gefühle, Margrit allein ist das. Sie kann mit Susi mitfühlen, ohne ihren Gleichmut zu verlieren. Wenn sie klare Grenzen zwischen Ich und Du zieht und sich sagt: «Das ist Susis Krise, nicht meine.» Und wenn sie bereit ist, Susis Krise kurzfristig ins Rampenlicht zu stellen und selbst zurückzustehen. Nur so hilft sie der Freundin.

Die Ruhe bewahren

Denn wie alle Menschen in einer akuten Krise braucht Susi jetzt einen ruhenden Pol. Jemanden, der im Gegensatz zu ihr klar denken kann. Jemanden, der einfache Anweisungen gibt und konkrete Fragen stellt, die auf eine Lösung ausgerichtet sind. «Hast du die Polizei angerufen?», kann Margrit etwa fragen oder «Soll ich dich abholen?». Wieso und Warum sind schlicht tabu.

Im Nachhinein – nachdem Susis Denkapparat wieder voll funktioniert und sie die Krise einigermassen verdaut hat – kann Margrit auf einer tieferen Ebene mit ihr über das Geschehene reden. Auch jetzt tut sie gut daran, die Frage nach dem Wieso zu unterlassen und vielmehr Fragen zu stellen, die in die Zukunft gerichtet sind. Statt «Wieso hast du das getan?» fragt sie etwa: «Was könntest du tun, damit dir das nicht mehr passiert?» So drängt sie ihre Freundin nicht in die Defensive. Sondern sie hilft ihr weiter. Denn der Mensch lernt für die Zukunft dazu – nicht für die Vergangenheit.

Nur so helfen Sie weiter