Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
17.2.2005 07
Eine Beziehung, die stürmisch beginnt, kann gefährlich werden. Das vordergründig romantische Umwerben ist oft der Anfang vom Ende der Freiheit.
Kaum zwei Wochen kennt sie ihn. Und schon überhäuft er sie mit Liebeserklärungen. «Du bist die erste Frau, die mich versteht», beteuert er, «du bist mein Ein und Alles!» Das schmeichelt der Angebeteten – und es bedrängt sie. Es geht ihr zu schnell. Doch wenn sie ihre Zweifel anmeldet, ist er am Boden zerstört: «Ich dachte, wir hätten die wahre Liebe gefunden! Aber du liebst mich nicht!» Voll Schuldgefühle beschwichtigt sie ihn. Sie will diesen Romeo, dessen Gefühle für sie so intensiv sind, nicht verlieren. Noch nie hat sie sich so begehrt, so gebraucht gefühlt. Wie leicht wäre es, den Verlockungen zu erliegen und Hals über Kopf mit ihm im Bett, im gemeinsamen Heim, in der Ehe zu landen.
Emotionale Erpressung
Und dabei die Warnsignale zu übersehen, die andeuten, dass diese Liebesgeschichte eine Kehrseite hat. Ein Warnsignal ist, dass die Angebetete nicht sagen kann, was sie denkt, ohne sofort mit Sätzen wie «Du liebst mich nicht!» vor ein Ultimatum gestellt zu werden.
Das ist Manipulation, das ist emotionale Erpressung. Damit zwingt er ihr seine Spielregeln auf. Er fragt sie nicht, wie sies gern hat, sondern definiert für sie, was schön und richtig ist. Denn er respektiert weder ihr Tempo noch ihre Grenzen noch ihre Person.
Sein intensives Umwerben ist allein schon ein Warnsignal. Es hat nichts mit wahrer Liebe zu tun. Wahre Liebe wächst langsam – und er kennt die Angebetete ja noch gar nicht. Er modelliert sich eine Traumfrau zurecht, an die er völlig überhöhte Erwartungen stellt.
Diesen kann die Angebetete kaum gerecht werden. Dafür wird er sie bestrafen. Mit der gleichen Intensität, mit der er sie auf ihr Podest gestellt hat, wird er sie hinunterstürzen. Und er wird ihr sagen, dass sie daran schuld ist – weil sie ihn getäuscht hat. Er wird sich als das Opfer sehen, sie als die Täterin.
Zunächst wird er Schwächen mit kleinen «Scherzen» angreifen. Dann wird er sie mit Kritik erniedrigen – oder gar mit körperlicher Gewalt fertig machen. Insgeheim will er, dass sie klein und machtlos ist. Damit er sie «im Griff» hat. Denn er kann nicht glauben, dass sie freiwillig bei ihm bleiben würde. Weil er sich im Grunde nicht liebenswert findet. Sein rasanter Werbefeldzug ist darauf angelegt, sie zu ködern, bevor sie eine Chance hat, ihn kennen zu lernen – und zurückzuweisen. Dass er nicht warten kann, ist ein weiteres Warnsignal. Die Angst, sie zu verlieren, wird in eine immer stärkere Kontrollsucht münden. Schon jetzt verbirgt sich hinter seinem romantischen «Du bist mein Ein und Alles» das eifersüchtige «Du sollst kein Leben ohne mich haben, ich will dich ganz besitzen».
Wählen Sie die Freiheit
Das deutlichste Warnsignal, das die Angebetete spürt, ist ihr eigener Instinkt. Das unangenehme Gefühl, bedrängt zu sein – und nicht offen sein zu können, ohne den Romeo in die Verzweiflung zu stürzen und die keimenden Liebesbeziehung ernsthaft zu gefährden. Egal, wie sehr sie sich die absolute, romantische Liebe wünscht, mit der sie hier gelockt wird, so sehr ist ihr empfohlen, nicht durch diese Tür zu gehen. Sondern die Freiheit zu wählen.
Vorsicht vor romantischer Verklärung! Wenn Sie jemand, der Sie kaum kennt, in den Himmel hebt, sind damit nicht Sie gemeint.
Lassen Sie sich zu nichts zwingen. Reden Sie offen über Ihre Bedürfnissen und Grenzen und achten Sie darauf, dass diese respektiert werden.
Achten Sie auf herablassende Scherze oder Kritik über Sie, Ihre Freunde, Ihr Leben. Das Ziel dahinter ist, Sie klein zu machen.