Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
2.12.2004 9
Männer reden ungern über ihre Gefühle. Bevor sie es tun, müssen sie ihre Gedanken in Ruhe ordnen. Wenn die Partnerin das akzeptiert, hilft sie ihm.
«Was hast du?», fragt sie ihn. «Nichts», antwortet er. «Nichts? Ich merk doch, dass du am Grübeln bist!» – «Ich denke einfach nach.» – «Worüber denn? Du kannst mir alles erzählen!» – «Ich will jetzt nicht darüber reden.» – «Warum nicht? Hat es was mit mir zu tun?» – «Nein, ich will jetzt einfach nicht reden.» – «Hast du ein Problem? Ich könnte dir helfen.» – «Ich brauch keine Hilfe.»
Wieso er schweigt
Sie bohrt, und er will nicht reden. Die beiden haben keinen Streit miteinander; er will sie nicht mit Schweigen strafen. Und doch zieht er sich zurück. Warum? Erstens, weil Reden für ihn als Mann typischerweise nicht das Gleiche bedeutet wie für eine Frau. Zweitens, weil er auf eine andere Art denkt als sie. Drittens, weil es hier um Gefühle geht. Und mit Gefühlen tut sich der typische Mann schwer.
Angenommen, er fühlt sich bei der Arbeit nicht anerkannt. An seiner Stelle würde sie ihm ihr Herz sofort ausschütten. Weil der Gefühlsaustausch ihr bestätigt, dass sie nicht allein ist und dass andere ihr beistehen. Er hingegen findet es grundsätzlich gefährlich, über Gefühle zu reden. Er sieht in ihnen Schwachpunkte seiner Person, wenn er sie offen legt, macht er sich verletzlich. Wenn er indes Herr über seine Gefühle ist und mit sich selbst klarkommt, ist er stark und überlebensfähig.
Und überhaupt: Bevor er redet, muss er in seinem Gehirn Ordnung schaffen. Durch den Kopf der typischen Frau schwirrt ständig ein Kunterbunt von Gedanken und Gefühlen. Für den typischen Mann wäre das viel zu chaotisch und vage. Er sieht vor seinem geistigen Auge ein Gestell voller Schubladen, in das er alle Gedanken und Gefühle verstauen will, bevor er redet. Sonst würde ihn das Reden nur verwirren.
Ausserdem muss er zunächst nach Tatsachen suchen. Er fragt sich: Was ist konkret passiert? Was muss geschehen, damit es mir besser geht? Im Gegensatz zur Frau findet er Tatsachen viel wichtiger als Gefühle. Weil sie handfest und greifbar sind. Er redet erst, wenn er seine Gefühle an Tatsachen festmachen kann. Und wenn er seine Probleme gelöst hat oder auf der Suche nach Lösungen allein nicht weiterkommt. Die Frau sollte also Geduld walten lassen. Ihr Partner wendet sich nicht von ihr ab, er muss jetzt einfach bei sich sein. Er kann ihr entgegenkommen, indem er andeutet, worum es geht. Zum Beispiel sagt er ihr: «Ich habe Probleme bei der Arbeit, und ich muss meine Gedanken in Ruhe ordnen.» Sie akzeptiert das und bohrt nicht weiter. Wenn sie keinen Druck ausübt, öffnet er sich ihr eher.
Nicht emotional reagieren
Und irgendwann redet er. Vielleicht hört sie von Schwächen, Zweifeln, Ängsten oder Unzufriedenheiten, die nicht in das Bild passen, das sie sich von ihrem Partner macht. Wenn sie darauf emotional und wertend reagiert, treibt sie ihn in die Flucht. Und er wird beim nächsten Mal noch hartnäckiger schweigen. Wenn sie will, dass er ihr vertraut, sollte ihr Motto daher lauten: «Auf hundert zählen und sachlich und neutral bleiben.» Denn sie hat ihm gesagt, dass er ihr alles erzählen kann. Und das bedeutet, dass sie bereit ist, alles zu hören.