Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

25.11.2004 8

Mehr als leere Worte

Worte und Taten können mehr verletzen, als man meint. Nur wer sich richtig entschuldigt, kann den Schaden wieder gutmachen.

Wie viel ist eine Entschuldigung wert? Das kommt darauf an. Angenommen, Roland vergisst den Geburtstag seiner Partnerin Edith – ein Datum, dass ihr enorm wichtig war. «Es tut mir Leid, dass ich deinen Geburtstag vergessen habe», sagt er kleinlaut. Diese Entschuldigung ist wenig wert, weil Roland sich nicht für das entschuldigt, was er Edith angetan hat: Er hat ihre Gefühle verletzt.

Menschen verletzen einander mehr, als ihnen bewusst ist: Da vergessen sie etwas Wichtiges, da halten sie eine Abmachung nicht ein, da sagen sie etwas Unüberlegtes. So etwas hinterlässt fast immer eine Wunde – weil das Vertrauen, die Grosszügigkeit, die Liebe oder die Selbstachtung des anderen verletzt wird. Der Verletzte fühlt sich zurückgewiesen, ausgenützt oder nicht respektiert. Und genau das ist es, wofür man sich bei ihm entschuldigen muss.

Auf den Grund gehen

Zunächst könnte man sich überlegen, was für ein Gefühl des anderen man wohl verletzt hat, und das dann vom Gegenüber bestätigen oder ergänzen lassen. Roland zum Beispiel vermutet, dass sich Edith vernachlässigt fühlt: «Gell, ich hab dich ziemlich getroffen», sagt er. «Fühlst du dich von mir vernachlässigt?» Mit seinem echten Interesse fördert er Ediths Bereitschaft, sich zu öffnen. Edith sagt ihm nach einigem Hin und Her, dass sie sich nicht ernst genommen und in ihrer Liebe verunsichert fühlt. Das sollte Roland anerkennen. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, sich zu rechtfertigen. Auch wenn seine Absicht nicht böse war – den Schaden hat er mit seiner Tat angerichtet. Dafür muss er die Verantwortung übernehmen. Sonst ist seine Entschuldigung nichts als eine leere Floskel.

«Es tut mir Leid, dass ich dir das Gefühl gegeben habe, von mir nicht ernst genommen zu werden. Und es tut mir Leid, dass ich dich in deiner Liebe verunsichert habe.» So entschuldigt sich Roland schliesslich bei Edith; und diese Entschuldigung ist nun schon viel mehr wert, denn sie spricht genau die verletzten Gefühle an.

Mit Taten nachdoppeln

Noch mehr ist sie wert, wenn Roland auf seine Worte Taten folgen lässt, die Edith zeigen, dass er sie wirklich liebt und ernst nimmt. Nicht nur, dass er Ediths Geburtstag nie wieder vergisst – er doppelt noch nach: Er hört ihr in nächster Zeit besonders genau zu. Und er erkundigt sich ungefragt nach Dingen, über die sie vorletzte Woche geredet hat, überrascht sie mit einem Buch ihrer Lieblingsautorin und so weiter. Er liefert ihr etwas mehr als nötig. Dadurch biegt er den krummen Balken sozusagen in die andere Richtung, auf dass dieser am Schluss wieder grade ist. Und er ist geduldig: Wunden heilen nicht von heute auf morgen.

Der Aufwand lohnt sich. Denn nach einem simplen «Es tut mir Leid» bleibt beim Verletzten oft Groll zurück und beim «Täter» das heimliche Gefühl, schäbig zu sein. Wer sich nach etwas gedanklicher Vorarbeit gezielt für die Verletzung entschuldigt, Verantwortung für das Geschehene übernimmt und mit einer satten Dosis Taten nachdoppelt, unterstützt nicht nur die Heilung, sondern bewirkt damit letztendlich auch, dass er sich selbst besser fühlt.

Die Gefühle ernst nehmen