Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

11.11.2004

Am gleichen Strick ziehen

In Sachen Erziehung sollten Eltern immer ein Team bleiben. Auch bei unterschiedlichen Ansichten.

Am Znachttisch verkündet die Tochter, dass sie dringend die schicken Schuhe der Marke Soundso braucht. Papa ist dafür, Mama dagegen. Mama findet, Papa verwöhne seine Tochter, Papa nennt Mama knauserig. Die Fronten verhärten sich; ein Streit wird entfacht. Um Schuhe geht es dabei kaum noch. «Immer das Gleiche», stöhnt die Tochter.

Dass Eltern in Erziehungsfragen nicht immer derselben Ansicht sind, ist normal. Wenn sie sich deshalb jedoch ständig in die Haare geraten, stecken dahinter in der Regel ungelöste, unausgesprochene Beziehungskonflikte. Anstatt diese Probleme miteinander anzugehen, werden über Erziehungsfragen Aggressionen ausgelebt und Machtkämpfe ausgefochten. Das Kind wird zum Spielball. Und es gewöhnt sich unschöne Verhaltensweisen an.

Falsche Vorbilder

Bei der Schuhdiskussion lernt die Tochter aus der Gesprächskultur ihrer Eltern, dass es keine offenen, fairen Diskussionen gibt, in denen sachliche Argumente entscheiden. Wo das nicht möglich ist, können Ziele nur durch Manipulation erreicht werden. Manipulieren heisst, Menschen durch gezieltes Zurückhalten und geschicktes Verpacken von Informationen dazu zu bringen, so zu handeln, wie sie es sonst nicht würden.

Mit Manipulation kommt die Tochter bei ihren Eltern tatsächlich weiter. Im Streit besetzen sie immer die gleichen Fronten gegeneinander, darum werden sie berechenbar. In Geldsachen, so weiss die Tochter, ist Papa auf ihrer Seite. Also bearbeitet sie ihn in Abwesenheit von Mama, wenn sie Geld braucht – mit Schmeicheleinheiten und vielleicht sogar einer Prise Gejammer darüber, wie unfair sich Mama ihr gegenüber doch wieder benommen hat.

So spielt die Tochter ihre Eltern gegeneinander aus – mit Erfolg. Kann man ihr das vorwerfen? Nein. Sie ist einfach lernfähig. Papa und Mama sind ihre Vorbilder. Was sie ihr vorleben, übernimmt sie. Ungeachtet der Konflikte, die die beiden miteinander haben, sollten sie daher versuchen, eine Gesprächskultur zu pflegen, die es erlaubt, in Sachen Erziehung auf Grund sachlicher Diskussionen Entscheidungen zu treffen.

Keine Manipulationen

Das heisst: Wenn die Tochter mit ihrem Geldwunsch zu Papa geht, erstickt dieser mit dem Satz «Ich will das zuerst mit Mama besprechen» alle Manipulationsversuche im Keim. Mit Mama redet er alsdann über die Schuhe – nur über die Schuhe. Beide versuchen, den Standpunkt des anderen zu verstehen und Kompromisse zu suchen. Beide können klein beigeben und auch mal unterschiedliche Meinungen bestehen lassen.

«Heute kriegst du das Geld nicht, weil Mama es nicht will, und ich respektiere das», erklärt Papa der Tochter zum Beispiel. So lernt sie, dass die Eltern einander respektieren und in Erziehungsangelegenheiten ein Team sind – was ihr nicht zuletzt Halt und Sicherheit gibt. Und wenn es den Eltern nicht gelingt, am gleichen Strick zu ziehen, wenn sie Erziehungsfragen und Beziehungskonflikte nicht voneinander trennen können, sollten sie in Sachen Partnerschaft mal gründlich über die Bücher gehen. Die Tochter dankt.

So schaffen Sie Klarheit