Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
21.10.2004 3
In fast jeder Gruppe gibt es ein schwarzes Schaf, über das man klatscht und tratscht. Dabei ist das Opfer selbst oft nicht das Problem.
Drei Frauen sitzen in der Kantine und ziehen über ihre Mitarbeiterin her. Conny, die sich immer so beim Chef anbiedert, Conny, die sich so peinliche modische Ausrutscher leistet, Conny, die, so munkeln sie, ein Tablettenproblem hat. Conny ist der Dreierrunde ein Dorn im Auge. Warum? Was hat sie ihnen angetan, dass sie auf diese Weise über sie herziehen? Nichts. Sie ist einfach das schwarze Schaf der Abteilung.
Firmen, Vereine, Schulklassen, Familien: Viele Gruppen haben ihr schwarzes Schaf. Eine Person, die ganz unten in der Hackordnung hockt. Über die geklatscht wird, die mitunter systematisch hinausgemobbt wird. Wieso? Weil sie durch ihr Verhalten auf irgendeine Art heraussticht? Weil sie sagt, was sie denkt? Weil sie fauler oder fleissiger ist als andere?
Schwelende Konflikte
Vielleicht. Vor allem aber, weil andere ein schwarzes Schaf brauchen. Es ist anzunehmen, dass im obigen Beispiel abteilungsintern Konflikte schwelen, die nicht offen angesprochen werden. Möglicherweise leiden die drei Frauen zudem unter Leistungsdruck und Angst vor Kündigungen – und haben dazu zu Hause Stress. Conny wird zum Ventil, über das sie ihren Überdruck ablassen.
Indem sie einander darin bekräftigen, dass Conny die «Böse» ist, versuchen die drei wohl auch, ihre Position weiter oben in der Hackordnung zu sichern. Sie richten den Scheinwerfer von ihren Schwächen weg auf Conny. Auch ist es verlockend, eigene Persönlichkeitsanteile, zu denen man nicht stehen will, jemand anderem zuzuweisen und sie dort zu verurteilen. Das schwarze Schaf ist der Sündenbock. Ihm gegenüber sehen die anderen so viel besser aus.
Oder? Nein. Wenn sie über Conny herfallen, bekennen sich die drei vor allem dazu, dass sie Klatschbasen sind. Und das ist eine unschöne Einstufung. Wer weiss, was in der Abteilung hinter vorgehaltener Hand über sie gesagt wird – und, abgesehen davon, was die Klatschbasen selbst übereinander denken. Wenn niemand offen redet, bestätigt dies nur eins: dass die Gesprächskultur in der Abteilung zu wünschen übrig lässt.
Gesprächskultur pflegen
Gute Gesprächskultur herrscht, wenn miteinander und nicht übereinander geredet wird und wenn Gespräche auf Tatsachen und nicht auf Annahmen beruhen. Falls Conny einer ihrer Mitarbeiterinnen tatsächlich schaden würde, wäre es verständlich, dass diese mit ihren Kolleginnen darüber spräche. Vor allem sollte sie mit Conny und gegebenenfalls mit ihren Vorgesetzten darüber reden.
In Tat und Wahrheit schadet Conny Mitarbeiterinnen nicht – sie beängstigt sie nur. Weil sie anders ist, und dabei glücklich. Das schürt die Unsicherheit und den Neid. Anstatt zu versuchen, Conny schlecht zu machen und auf ihr eigenes Frustrationsniveau herunterzuziehen, könnten sie sich sich selbst zuwenden und daran arbeiten, selbst glücklicher zu werden.
Dabei sollten sie sich an folgende Regel halten: «Weisst du nichts Gutes über jemanden zu sagen, so schweige lieber.» Aus Selbstschutz. Denn auch diese Regel gilt: «Wie du heute über deine Mitmenschen redest, so reden sie morgen über dich.»