Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

30.9.2004 0

Eifersüchtig auf das Neue

Das Baby ist da. Die Eltern freuen sich, nur das ältere Geschwister nicht. Räumen Sie ihm Privilegien ein – so fühlt es sich weiterhin einzigartig.

Ein neues Geschwisterchen bedeutet für ein kleines Kind eine Krise. Bis anhin stand es im Mittelpunkt, jetzt wird auf einmal einem unbekannten Wesen all die Aufmerksamkeit zuteil, die eigentlich ihm zustünde. Eifersucht kommt auf. Und die Angst, Mama und Papa ganz zu verlieren. Wer will es ihm da vorwerfen, wenn es sich dem unliebsamen Nebenbuhler gegenüber wie ein kleiner Teufel benimmt oder wenn es selbst wieder Baby sein will?

Sein Leid will anerkannt werden – auch wenn manche Mutter dieses herunterspielen möchte. Vielleicht, weil sie Schuldgefühle hat. Denn auch sie muss sich von der bislang so engen Beziehung zu ihrem Erstgeborenen verabschieden. Da ist es besser, wenn sie sich selbst und ihrem Kind zugesteht, dass dieser Prozess für beide schwer ist.

Böse Gedanken sind O. K.

Aber auch ein Kind spielt bisweilen eitel Sonnenschein vor. Es traut sich nicht, seinen Frust zu zeigen. Ihm hilft es, wenn Mama und Papa die wahren Gefühle mit Sätzen wie «Gell, manchmal geht dir dein Schwesterchen richtig auf den Keks!» herauskitzeln und es wissen lassen, dass es auch geliebt wird, wenn es Böses denkt und sich unschön benimmt.

Derartige Gespräche sind natürlich erst ab drei Jahren möglich, weil Kinder in diesem Alter einfach mehr begreifen. Bei Jüngeren gibt es hingegen nur eins: dem Kind so viel ungeteilte Aufmerksamkeit wie möglich zukommen lassen, pro Tag mindestens eine halbe Stunde.

Kindern ab drei Jahren kann besser geholfen werden, ihren Platz zu finden und sich wohlig dort einzunisten. Ihr Platz, das ist der des ersten Kindes, des grossen Bruders, der grossen Schwester. Dieser Platz, so können die Eltern ihnen klar machen, bringt Privilegien mit sich. Das «Grosse» darf zum Beispiel, wenn es das will, bei der Betreuung des Nachzüglers mithelfen – unter elterlicher Aufsicht natürlich, schliesslich sind Geschicklichkeit und Geschwisterliebe noch entwicklungsfähig.

Das Grosse darf mehr

Und später sollte das Jüngere in der Gegenwart des Älteren auch mal Sätze hören wie: «Du darfst das noch nicht, dein Bruder darf das, weil er schon gross ist.» Natürlich vermitteln die Eltern auch dem Jüngeren, dass es Privilegien hat. Beide lernen so, dass ihre Position in der Geschwisterfolge eine gute, einzigartige ist. Kinder wollen einzigartig sein, und wer versucht, sie gleich zu behandeln, fördert ihre Rivalität und ihre Tendenz, Rollen (die «Angepasste», das «Problemkind» usw.) anzunehmen, um sich voneinander abzuheben.

Auch wenn das Ältere immer mehr Lust darauf kriegt, gross zu sein, darf es, wenn es will, ab und zu in die Babyrolle zurück. Es ist kein Widerspruch, wenn ein Fünfjähriges beim Wickeln hilft und anschliessend als Abendritual noch die Flasche bekommt. Derartige Rückschritte sind seine Tankstellen auf dem Weg des Grosswerdens. Und irgendwann wird es sie als Kindereien abtun und stolz erklären, dass es sie nicht mehr braucht.

Umgang mit Erstgeborenen

Buchtipp

Jirina Prekop: Erstgeborene
Kösel-Verlag GmbH & Co., München, 2000