Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
16.9.2004 8
Was tun, wenn der Partner mehr Zeit im Büro als mit der Familie verbringt? Erfragen Sie die Gründe, und nehmen Sie auch Kritik entgegen.
Tanja ist frustriert. Dauernd ist Remo beruflich unterwegs. Er kommt immer spät von der Arbeit heim. Wenn er sich mal zu einem Abend zu zweit überreden lässt, sagt er oft in letzter Minute vom Geschäft aus ab. Und für die Kinder hat er sowieso nie Zeit.
Tanja leidet darunter, dass ihr Mann mit dem Aktenkoffer verheiratet ist. Was kann sie tun? Schweigen ist keine Lösung. Remo mit Vorwürfen überhäufen auch nicht. Besser ist, sie redet über sich und lässt ihn wissen, dass und warum sie leidet. Zum Beispiel: «Ich fühle mich vernachlässigt und zurückgewiesen. Ich habe Angst, dich zu verlieren.»
Der Ursache auf der Spur
Zudem sollte sie mit ihm klären, welche Gründe seine Arbeitswut hat: Langweilt oder überfordert ihn der Ehe- und Familienalltag? Flieht er vor häuslichen Konflikten? Fühlt er sich von Tanja in seiner Freiheit eingeengt? Hat er eine Affäre? Hat er Stress oder Angst, seine Stelle zu verlieren? Hängt sein Stolz vom beruflichen Erfolg ab? Ketten ihn Verantwortungsgefühle an die Arbeit? Meint er, Karriere machen zu müssen, damit ihn seine Partnerin akzeptiert?
Auch wenn Tanja vielleicht nicht gern hören wird, was Remo ihr zu sagen hat, sollte sie ihm Mut zur Offenheit machen. Die Wahrheit hilft ihr aus ihrem Frust hinaus. Tanja sollte Remo wissen lassen, dass sie ihn auch liebt, wenn er nicht erfolgreich ist. Dass sie bereit ist, mit weniger Geld auszukommen oder mehr zu arbeiten, falls er reduzieren oder die Stelle wechseln will. Dass sie offen für Kritik ist und an ihrem Verhalten arbeiten will, um die Ehe zu verbessern.
Und dass sie bereit ist, ihre Erwartungen an ihn neu zu formulieren. Vielleicht sind die ja zu hoch. Das Hochzeitsgelöbnis, immer für einander da zu sein, ist zu vage und kann über die Jahre gar nicht eingehalten werden. Lebenssituationen, Verantwortlichkeiten, Bedürfnisse ändern sich – Remo und Tanja sollten immer wieder verhandeln, wer in der Ehe was tut, wie sie einander entgegenkommen und wie viel Zeit sie miteinander verbringen wollen. Das bedeutet für beide, Kompromisse einzugehen.
Die Verhältnisse klären
Was, wenn sie sich nicht in der Mitte finden? Was, wenn Remo gar nicht mit Tanja verhandeln will? Dann kann sie zumindest klare Verhältnisse schaffen: «Bitte sag Nein, wenn du einen Wunsch nicht erfüllen kannst. Das ist mir lieber als leere Versprechungen, Verspätungen und Absagen im letzten Augenblick. Dann kann ich planen und mit anderen Leuten abmachen. Ich akzeptiere dein Nein.»
Es bleibt ihr nichts anderes übrig. Sie kann Remo zu nichts zwingen; sie kann ihn nicht ändern. Sie kann einzig ihr Leben und ihre Freizeit eigenständig gestalten. Eigenständigkeit ist für Tanja die beste Selbstpflege. Erstens wird sie mit einem Mann wie Remo sonst nie glücklich. Zweitens kann sie, wenn sie sich von ihm emanzipiert, besser beurteilen, ob sie wirklich mit ihm zusammen sein will. Und wer weiss, vielleicht wendet sich Remo einer unabhängigen Tanja auf einmal wieder zu. Weil er sich nicht mehr bedrängt fühlt. Oder weil er plötzlich Panik hat, sie zu verlieren.