Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

2.9.2004

Streitpunkt Kinder

Mütter schwärmen gerne von ihrem Nachwuchs. Und das nervt manche kinderlose Frau. Oft ist da auf beiden Seiten viel Selbstschutz im Spiel.

Katrin ärgert sich über ihre Kollegin Heidi. Die zieht in Katrins Anwesenheit dauernd über Kinder her und betont, wie glücklich sie ist, dass sie sich nicht mit ihnen abgeben muss. Bei ihren Tiraden nimmt sie keine Rücksicht darauf, dass Katrin selbst zwei Kinder hat. «Die findet, sie sei etwas Besseres!», sagt Katrin wütend zu ihrer Freundin Claudia. «Weil sie viel Geld verdient und ich zu Hause bin!» Claudia schüttelt den Kopf: «Ich glaube eher, sie ist neidisch auf dich, weil sie keine Kinder hat.»

Aber auch das stimmt nicht ganz: Heidi ist mit ihrem Leben glücklich. Allerdings fiel ihr der Entscheid gegen das Muttersein nicht leicht. Es war ein Kompromiss. Dabei siegten das Bedürfnis nach Unabhängigkeit, beruflicher Erfüllung und einer harmonischen Partnerschaft – denn Heidis Partner stellte sich ganz klar gegen Kinder. Ihr eigenes Elternhaus war auch kein Nest der Geborgenheit gewesen, und sie befürchtete, nichts Besseres bieten zu können.

Die Kehrseite des Glücks

Heidi musste für ihr heutiges Glück etwas aufgeben. Etwas, von dem viele Mütter sagen: «Es ist das Beste, was mir je passiert ist.» Eine ganze Dimension von Erfahrungen und Glücksgefühlen, die ihr die Mutter Katrin in blumigen Worten auftischt. Heidi tut es weh, da zuzuhören. Zumal Katrin die Kehrseite verschweigt: dass sie, seit sie Mutter ist, kaum Zeit für sich hat, dass sich ihre Karriere in einer Sackgasse befindet und dass ihre Ehe auf eine harte Probe gestellt wurde. Dass sie sich manchmal nach den Vorteilen des kinderlosen Daseins sehnt. So sehr sie ihre Kinder liebt.

Katrin und Heidi sehen ineinander das, was sie aufgegeben haben. Sie finden, die andere trage es überheblich zur Schau. Doch wenn Heidi gegenüber Katrin über Kinder schimpft und wenn Katrin gegenüber Heidi über die Mutterschaft schwärmt, ist das Selbstschutz. Es hilft ihnen, sich von dem, was sie aufgegeben haben, abzugrenzen. Damit die Zwiespältigkeit über das, was ist, und Trauer um das, was nicht (mehr) ist, nicht hochkommen.

Der Fünfer und das Weggli

In einer perfekten Welt hätten sie den Fünfer und das Weggli: Kinder und Karriere, aufopferungsvolle Partner und genügend staatliche Unterstützung. Katrin und Heidi sind Frauen, die in einer nicht ganz perfekten Welt Kompromisse schliessen mussten. Da sind Trauer und zwiespältige Gefühle normal, und nur wenn Katrin und Heidi diese als Teil von sich annehmen, können sie vermeiden, dass das, was sie verdrängen, mit der Zeit in Groll und Verbitterung mündet.

Und dann müssen sie sich auch nicht mehr krampfhaft voneinander abgrenzen, sondern können sich einander in aller Ehrlichkeit annähern. Dadurch merken sie, wie viel sie eigentlich verbindet. Ausserdem sehen sie die nackte Realität hinter dem süssen Klischee vom Leben der anderen. Und wenn sie noch einen Schritt weitergehen, können sie sogar etwas von dem, was sie aufgegeben haben, zurückgewinnen: Heidi kann als «Tante» von Katrins Kindern ihren Mutterinstinkt ein bisschen ausleben, und Katrin wird durch sie entlastet. Alle würden davon profitieren. Am allermeisten die Kinder.

Tipps für mehr Toleranz