Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

19.8.2004 4

Von der Göttin zur Frau

Die intime Zweisamkeit ist für manche nur möglich mit Menschen, die ihnen nichts bedeuten. Weil sie da keine Angst haben, zu versagen.

Theo hat ein eigenartiges Verhältnis zu Frauen. Im Bett klappts nur mit Frauen, denen er sich nicht besonders verbunden fühlt und mit denen er keine feste Beziehung will. Wenn ihm eine Frau hingegen so richtig gefällt, überfällt ihn die Angst, zu versagen und zurückgewiesen zu werden. Er bewundert sie. Er setzt sie auf ein Podest und himmelt sie an. In seinen Augen ist die Angebetete völlig erhaben über menschliche Schwächen. Sie ist die perfekte Frau.

Kein Wunder, dass er da Versagensängste hat. Zumal er sowieso recht hohe Ansprüche an sich stellt. Als «richtiger» Mann habe er im Bett wer weiss was zu leisten, und zwar immer. Nie und nimmer, so sagt er sich, kann die perfekte Frau ihn akzeptieren, wenn er selbst nicht perfekt ist. Er will ihr imponieren. Und er befürchtet, dass diese Seifenblase platzen wird.

Der wahre Mann

Dann würde sie nämlich entdecken, was sich hinter der männlichen Hülle versteckt. Der wahre Theo nämlich, der allenfalls Mittelmass ist und der Schwächen, Wünsche und Fantasien hat, die ihm lächerlich, sonderlich, ja vielleicht schmutzig erscheinen und ob deren er sich zutiefst schämt. Kein Zweifel: Wenn sie ihn wirklich kennen würde, würde sie ihn zurückweisen.

Wie viel einfacher und entspannter ist es da doch mit Frauen, die ihm nichts bedeuten. Denen muss er nicht imponieren. Er hat keine Angst, dass sie ihn zurückweisen. Weil er selbst sie ja von vornherein zurückweist. Ohne Rücksicht auf Verluste kann er sich mit ihnen gehen lassen. Schade nur, dass diese Frauen ihn nach einer Zeit nicht mehr interessieren. Weil sie ihm halt wirklich nichts bedeuten.

Wenn er nur einmal wirklich mit der Frau, die da so einsam oben auf dem Podest steht, reden würde. Dann erführe er, dass auch sie sich alles andere als perfekt findet und dass auch sie allerlei Wünsche und Fantasien und Schwächen hat, deren sie sich schämt und, ja, dass auch sie Angst hat, deshalb von ihm abgewiesen zu werden. Weil das fast jeder Mensch hat. Das, was Theo lächerlich, sonderlich, schmutzig, unzulänglich nennt, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: menschlich.

Tolerant sein

Das Geheimnis der Liebe ist, genau dieses Menschliche zu akzeptieren. In sich selbst und in der Partnerin. Ja, auch sie ist ein Mensch – keine von ihm kreierte Statue. Und sie liebt ihn nicht für das Vorspielen einer perfekten Männlichkeit, sondern dafür, dass er ein Mensch ist.

Theo sollte mit seiner Partnerin von Anfang an Offenheit und Ehrlichkeit trainieren. Ihr seine Wünsche, Schwächen und Ängste mitteilen. Sich ihr in kleinen Schritten öffnen und sie dadurch einladen, sich ihm zu öffnen. Je weniger er ihr vormachen muss, desto entspannter wird es auch mit ihr. Was kann er dabei verlieren? Eine Illusion. Wirklich verlieren tut er nur, wenn er seiner Angst, zurückgewiesen zu werden, ausweicht. Denn nur wer der Angst ins Auge sieht, entdeckt dahinter das Liebesglück.

Tipps für mehr Ehrlichkeit

Buchtipp

Bernie Zilbergeld, «Die neue Sexualität der Männer», DGVT Verlag, Tübingen, 2000