Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
8.7.2004 8
Was tun, wenn ihm oder ihr der Sinn nicht nach Sex steht? Oder die Fantasien verschieden sind? Als Erstes offen darüber reden.
Es sollte im Sexleben eines Paares ein Gleichgewicht herrschen, bei dem jeder auf seine Kosten kommt. Leider haben nicht immer beide gleich viel – und auf dasselbe – Lust. Wie schaffen sie es, doch ein Gleichgewicht aufrechtzuerhalten? Wie kriegen sie es hin, dass sich niemand ausgenützt fühlt oder zu kurz kommt und dass ihre Lust nicht von Groll und Frust überschattet wird?
Eine Grundvoraussetzung ist Offenheit. Sich selbst und dem Partner gegenüber. Sonst hemmen Unsicherheiten über die Gedanken und Gefühle des Partners die Lust. Sonst werden Konflikte und heimliche Machtkämpfe schweigend im Bett ausgetragen. Und schliesslich kann der Partner nur auf Wünsche eingehen, die ihm mitgeteilt werden. Wer seine Bedürfnisse für sich behält, darf dem Partner keine Schuld dafür geben, wenn er zu kurz kommt. Und er darf es dem Partner auch nicht verübeln, wenn dessen Wünsche erfüllt werden, weil er sie mitteilen kann.
Offen miteinander reden
Margrit und Röbi reden offen miteinander. Heute Abend hat Röbi auf etwas Bestimmtes Lust, Margrit weniger. Soll sie ihm zuliebe mitmachen? Nur wenn sie es auch für sich selbst tut – etwa weil sie mit ihren Grenzen experimentieren will oder weil sie sich ihm dadurch näher fühlt oder weil es sie glücklich macht, ihm eine Freude zu bereiten.
Sie sollte es hingegen bleiben lassen, wenn sie es aus Schuld- oder Pflichtgefühlen macht, wenn sie sich nicht zugesteht, «Nein» zu sagen. Denn insgeheim wächst dabei ihr Groll auf ihn. Sie sollte von ihm auch keine Gegenleistung erwarten. Denn falls die «Rückzahlung» ausbleibt, fühlt sie sich ausgenützt und hat morgen garantiert noch weniger Lust.
Und Röbi? Der ist Margrit nichts schuldig, wenn sie ihm etwas zuliebe tut. Als Selbstverständlichkeit allerdings sollte er es nicht abhaken und es morgen wieder von ihr erwarten. Nur an seine Bedürfnisse denken und ihre Grenzen nicht respektieren. Oder gar ihr «Nein» nicht akzeptieren. Dann «gibt» Margrit nicht mehr aus Liebe, sondern im Zwang. Geben muss freiwillig geschehen. Sonst ertrinkt die Lust in Schmerz.
Harmonischer Alltag
Idealerweise erhalten Röbi und Margrit ihre Lust mit Offenheit, Respekt und Freiwilligkeit. 24 Stunden am Tag – denn der Alltag widerspiegelt sich eins zu eins im Bett. Und doch kommt es in ihrer Beziehung immer wieder zu Phasen des Lust-Ungleichgewichts: Etwa als er wochenlang Sorgen im Betrieb hat. Oder als sie in den Vorbereitungen auf ihre Diplomprüfung versinkt. Oder als er seine komplizierte Zahngeschichte hat. Und dann wieder, als sie ihr erstes Kind bekommt. Was tun, wenn im Bett umstandsbedingte Ebbe herrscht?
Sie reden miteinander. Sie erlauben die Unlust. Sie sind offen für zärtliche Alternativen. Sie lassen einander Freiheiten. Und sie vertrauen darauf, dass die nächste Flut wieder kommt. Das Sexleben eines Paares ist wie das Ufer eines Ozeans: Das Gleichgewicht zwischen Ebbe und Flut ist erst über längere Zeit ersichtlich. Und wer es erzwingen will – durch Drängen oder lustloses Mitmachen – zerstört letzlich die Liebe.