Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

24.6.2004

Ich bin auch okay

Wenn Sie Ihren Partner bewundern, ist das gut. Aber das ist kein Grund, sich selbst minderwertig zu fühlen. Lernen Sie sich selbst schätzen.

Patti bewundert ihren Partner Michael. Er ist so gebildet. Sie kann ihm da nie und nimmer das Wasser reichen. Sie fühlt sich ihm unterlegen, richtig minderwertig. Darunter leidet sie, bei aller Liebe. – Wieso in aller Welt hat sich Patti nicht einen Partner ausgesucht, dem sie sich ebenbürtig fühlt? Weil sie einen solchen Mann unattraktiv fände. Ihr Partner muss «besser» als sie sein, damit er «gut genug» für sie ist. Einen Mann, der so «gut» wie sie ist, könnte sie nicht akzeptieren. Weil sie sich selbst nicht «gut genug» findet.

Michael versucht sie immer davon zu überzeugen, wie toll und gescheit sie sei. Ohne Erfolg. Ihr letzter Partner war da anders: Er blickte auf sie herab und machte sie oft richtig fertig. Und so weh das tat, irgendwie «stimmte» es für Patti. Weil sie es kannte. Es erinnerte sie an ihren Vater. Der war gescheit, überheblich und kalt. Patti bekam von ihm nie die Bestätigung, die sie ersehnte. Im Gegenteil, Papa zeigte kaum Interesse an ihr; sie fühlte sich unwichtig und wertlos. Und dabei bewunderte sie ihn so.

Die Haltung übernommen

Pattis Mutter war unsicher und sorgenvoll. Papa strafte sie mit ähnlicher Missachtung wie seine Tochter. Klein Patti übernahm diese Haltung: Sie erklärte Mama für dumm und wollte nie so werden wie sie. Doch ohne es zu merken, identifizierte sich Patti eben doch mit ihr. Weil Mama immer da war. Weil sie eine Frau, weil sie die Mutter war. Patti stellte sich also gleich mit der Frau, die die Achtung des Vaters in ihren Augen nicht verdiente. Und sehnte sich zugleich so sehr danach.

Das tut sie noch heute. Und noch heute ist sie davon überzeugt, die väterliche Achtung nicht verdient zu haben, weil sie nicht «gut genug» sei. Doch indem Patti ihren Minderwertigkeitsgefühlen treu bleibt, bestraft sie sich selbst. Sie imitiert sich gegenüber die verächtliche Haltung des Vaters, unter der sie als Kind so gelitten hat. Wann wird sie aufhören, sich zu bestrafen? Wenn sie einsieht, dass sie nicht schlechter ist als irgendein Idealbild, das der Vater vielleicht lieben könnte. Sondern einfach anders. Ihre einzige «Unzulänglichkeit» liegt darin, dass sie sich selbst ist. Ihr Vater hielt ihr seine Anerkennung nicht vor, weil sie nicht gut genug war, sondern weil er nicht konnte. Weil nicht ihr, sondern ihm etwas abging. Die Fähigkeit nämlich zu lieben.

Die Last der Vergangenheit

Jeder Mensch trägt die Last seiner Vergangenheit. Doch niemand ist zeitlebens ihr Opfer. Die Erlösung liegt im Schmerz: Wer weiterkommen will, muss Abschied nehmen. Patti muss die Trauer zulassen, die in der Erkenntnis liegt, dass der Vater, den sie sich immer wünschte, nicht existiert.

Und statt sich zeitlebens dafür zu bestrafen und die liebevollen Worte ihres Partners von sich zu weisen, sollte sie es sich zum Ziel machen, sich selbst das zu geben, woran es ihr früher fehlte. Denn jeder Mensch kann sein eigenes inneres Kind nachträglich «bemuttern», es täglich und immer wieder in Gedanken in den Arm nehmen und mit den liebenden Gefühlen «füttern», von denen es früher zu wenig bekam. Jedes Kind auf dieser Erde hat das verdient. Auch Patti.

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