Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

17.6.2004 5

Alte Liebe, neues Feuer

Für erfüllte Sexualität im Alter brauchts Offenheit – dem Partner und sich selbst gegenüber.

Eine heisse Liebesnacht mit 75? Aber ja doch! Gemäss einer Zürcher Studie erlischt das sexuelle Interesse im Alter bei den allerwenigsten. Freilich sieht der Sex jetzt ein bisschen anders aus – der Körper hat sich ja auch verändert. Manche erleben nach der Pensionierung ihre zweite Pubertät, andere sind vollends mit dem zufrieden, was sie früher herablassend als «Vorspiel» abgetan haben: verführerische Blicke, verspielte Küsse, zärtliches Streicheln, innige Umarmungen. Das Entscheidende ist, dass die Bedürfnisse, egal, welcher Art sie sind, so weit wie möglich erfüllt werden.

Lusthormone können Wunder wirken

Da sollte man sich nicht scheuen, Ärzte offen anzusprechen. Sie wissen Antworten auf Fragen wie: Womit und wie weit lassen sich körperliche Grenzen und Gebrechen, die der lustvollen Liebe im Weg stehen, kompensieren? Welche Medikamente hemmen die Lust, welche fördern sie? Was muss man tun, damit der Sex der Gesundheit nicht abträglich, sondern förderlich ist? Denn eins steht fest: Sex an sich ist gesund. Die körperliche Aktivität regt die Gehirntätigkeit an, und die Lusthormone wirken Wunder gegen depressive Verstimmungen.

Das Geheimnis einer erfüllten Sexualität im Alter ist, so offen wie möglich zu sein. Offen dafür, dass sich das Sexleben nicht auf den Geschlechtsakt reduziert. Offen für intime Entdeckungsreisen des ganzen Körpers. Offen für den Einsatz von Spielzeugen und Hilfsmitteln. Offen für lustvolle und zärtliche Erotik mit sich selbst, wenn kein Partner da ist oder dieser nicht kann oder will. Offen für die Bedürfnisse und die Grenzen des Partners. Offen für Fantasie und Kreativität. Denn die wichtigste erogene Zone des Menschen ist das Gehirn.

Entscheidend ist auch die Bereitschaft, dem Partner offen mitzuteilen, wo die eigenen Bedürfnisse und Grenzen liegen, und miteinander neue Wege zu gehen. Das zahlt sich besonders in langjährigen Beziehungen aus. Denn die gleiche Suppe schmeckt nach vierzig Jahren nun wirklich langweilig. Offenheit bedeutet auch, dem Partner Ängste und Unsicherheiten mitzuteilen und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Zum Beispiel, wenn im Bett nichts mehr läuft und sie meint, das sei, weil er sie nicht mehr begehrenswert fände. In Wirklichkeit hat er Hemmungen, weil er nicht mehr wie früher «kann».

Für Offenheit ist es nie zu spät

Offenheit hält das Feuer der Liebe am Leben. Weil Offenheit zu Vertrauen und echter Verbundenheit führt, Schweigen aber in die Entfremdung.

Es ist nie zu spät, den Schritt in die Offenheit zu wagen. Es ist auch nie zu spät, sich von veralteten Meinungen wie «Männer wollen eh nur das eine», «Darüber spricht man nicht» oder «Frauen tun so was nicht» zu verabschieden, die letztendlich nur dem Glück im Weg stehen. Es ist nie zu spät, einen Schritt zu wagen. Und wem das schwer fällt, der sollte sich fragen: «Was habe ich dabei zu verlieren?»

Erfüllter Sex im Alter

Buchtipp

Kirsten von Sydow: Die Lust auf Liebe bei älteren Menschen. Reinhardt, Ernst, GmbH & Co., München 1994