Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
3.6.2004 3
Wenn in einer Beziehung der eine Partner aktiver ist als der andere, muss man aufs gemeinsame Tempo achten.
Sie ist eine richtige Energiebombe. Sie jongliert Dutzende von Projekten, managt einen Haushalt mit drei Kindern, hat jeden Abend Gäste und joggt jeden Morgen eine Stunde lang. Ihr Tempo ist beeindruckend. Je mehr läuft, desto glücklicher ist sie. Er braucht weniger Abwechslung, dafür mehr Ruhe. Mehr Zeit, um sich auf Neues einzustellen und Erlebtes zu verdauen. Er ist einfach langsamer. Wie können diese beiden Menschen, die so unterschiedliche Tempovorgaben haben, miteinander glücklich sein?
Indem sie sich an einige Verkehrsregeln halten. Die erste lautet «Tolerant sein». Jeder Mensch hat sein eigenes Tempo und managt seinen Energiehaushalt auf seine ganz persönliche Art. Die einen denken in der Bewegung, die anderen in der Stille. Die einen entspannen sich beim Joggen, die anderen beim Lesen. Kein Mensch versteht, wie der andere funktioniert. Und darum kann er nur eins: akzeptieren, dass jeder Mensch einzigartig ist. Tolerant sein bedeutet, das Tempo des Partners zu akzeptieren und zu seinem eigenem Tempo zu stehen.
Krach ist programmiert
Die zweite Regel lautet «Eigenständigkeit anstreben». Viele delegieren an den Partner Dinge, die sie selbst nicht tun wollen: Karriere machen, Rechnungen verwalten, Ferien organisieren, Einladungen planen usw. Dabei geben sie ihm oft auch vor, wie er das zu tun hat. Krach ist programmiert. Daher: Wer delegiert, muss die Spielregeln und Tempovorgaben des anderen akzeptieren. Oder aber lernen, die Dinge eigenständig «selbst zu machen». Wo der Partner nicht für einen funktionieren muss, fällt es leichter, ihm seine Art und sein Tempo zu lassen.
Eigenständig sein bedeutet auch, allein sein zu können. Wenn sie sich etwa ohne ihn langweilt und wenn er sich ohne sie einsam fühlt, schleppt sie ihn zu ihren zahlreichen Unternehmungen mit, und er lässt sich mitschleppen. Das ist für ihn doppelt anstrengend. Weil den Mitläufer die Ungewissheit des «Wie lange noch? Wohin noch? Schaff ich das?» stresst. Und weil es zu innerer Reibung führt, etwas zu tun, gegen das man sich insgeheim sträubt. Die beiden sollten daher in ihrer Beziehung Alleinsein trainieren.
Kompromisse finden
Das heisst freilich nicht, dass sie gar nichts gemeinsam unternehmen können. Hier kommt die dritte Regel zum Zug: «Kompromisse finden und sich in kleinen Schritten annähern». Bei einem gemeinsamen Projekt macht er etwa den Kompromiss, dass er mitgeht, und sie macht den Kompromiss, dass sie ihn, den Langsameren, Tempo und Dauer vorgeben lässt.
Beide achten darauf, dass sie sich dabei nicht überfordern. Zu viel Tempodruck bringt den Langsamen ganz zum Stillstand, und zu starkes Bremsen treibt den Schnellen zur Raserei. Doch insgeheim wünscht sich der Langsame ein bisschen Tempo und der Schnelle eine leichte Bremse – sonst hätten sie einander nicht als Partner gewählt. Wenn sie sich in kleinen Schritten näher kommen, können sie optimal voneinander profitieren: Der Langsame erlebt mehr, als er allein je erleben würde. Und der Schnelle entdeckt das intensive Erleben in der Langsamkeit.