Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

19.05.2004 1

Die Lust der Kinder

Kinder haben ein unverkrampftes Verhältnis zur Sexualität. Was Eltern tun können, damit es auch so bleibt.

Die Mutter hält die Luft an. Was ihr Sohn da tut – ist das Selbstbefriedigung? Mit zwei Jahren! Ist das normal? Ja, das ist es. Es ist normal, dass ein Kind auf körperliche Entdeckungsreise geht. Dass es dort, wo es angenehm ist, verweilt. Dass es, sobald es geschickt genug ist, «nachhilft» – und dabei wenig Scham zeigt.

Begegnen Eltern mit Befangenheit, abweisenden Bemerkungen oder gar Verboten, so lernt das Kind, verschämt zu schweigen. Es lernt, dass das, was es als schön empfindet, falsch, dreckig, nicht normal ist. Die Erkenntnis des Kindes: «Bei mir stimmt was nicht.»

Gut und schlecht

Wenn das Gefühl von «nicht gut» alles Sexuelle überlagert, verwischt die Grenze zwischen Empfindungen, die das Kind eigentlich schön findet, und solchen, die es nicht gut findet. Etwa, wenn der Onkel seltsame Dinge mit ihm machen will. Oder wenn es bei den Doktorspielen der Gspänli immer das Versuchskaninchen sein muss: Wo alles Sexuelle schlecht ist, gibt es keinen Unterschied zwischen Gut und Schlecht.

Wenn das Kind hingegen lernt, dass seine Sexualität gut ist, und darin unterstützt wird, mehr darüber zu erfahren, baut es ein Bewusstsein von «Das bin ich, das mag ich, das ist gut so» auf. Diese selbstsichere sexuelle Identität erleichtert es ihm, Grenzen zu setzen und «Nein!» zu sagen, wenn es etwas nicht gut und schön findet. Es entwickelt einen besseren Schutzschild gegen Übergriffe. Und es teilt sich auch eher mit, wenn ihm etwas passiert ist.

Das Kind orientiert sich sowieso weniger nach aussen, wenn es zu Hause fragen oder darüber lesen darf. So können es die Eltern besser positiv beeinflussen und ihm gesellschaftliche Spielregeln in Sachen Sex beibringen. Die wichtigste ist: «Respektiere deine Grenzen und auch die der anderen.» Etwa bei den Doktorspielen. Hier ist zwar alles erlaubt – doch nur, wenn alle Spass daran haben und niemand ausgenutzt oder gefährdet wird.

Dem Kind sollte auch sachte beigebracht werden, die Grenzen und die Privatsphäre seiner Eltern zu respektieren. Doch auch wenn sie ab und zu die Schlafzimmertür abschliessen, sollte ihre Tür zum Gespräch immer offen stehen.

Häppchenweise erzählen

Die Sexualität des Kindes zu respektieren bedeutet nicht zuletzt, ihm die Wahrheit zu erzählen. Wann immer es neugierig dreinblickt oder eine Frage stellt, füttern die Eltern es mit einem altersgemäss vereinfachten Häppchen. Wenn es weiterfragt, kriegt es noch ein Häppchen. Jedes Häppchen enthält ein bisschen mehr, als das Kind gefragt hat. So bringt man es weiter, überfordert es aber nicht.

Aber eben: Sexualerziehung ist mehr als nur das Beibringen von Wissen. Sie enthält das, was die Eltern dem Kind vorleben ebenso wie ihre Reaktion auf das, was es ihnen vorlebt. Und auch wenn die Eltern manchmal die Luft anhalten, sollte ihr Ziel doch immer sein, keine Tabus zu erzeugen, sondern Offenheit zuzulassen und dem Kind zu vermitteln, dass seine Sexualität gut ist. So liefern sie ihm eine gute Grundlage für ein glückliches, erfülltes Leben.

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