Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

29.4.2004

Zwischen zwei Frauen

Wenn sich ein Mann noch nicht ganz von seiner Mutter gelöst hat, kann sich das negativ auf seine Paarbeziehung auswirken.

Das grösste Problem in ihrer Ehe, so findet Maja, ist die Schwiegermutter. Die macht kein Geheimnis daraus, dass sie gar nicht glücklich ist mit der Wahl ihres Sohnes Ivo. Der hat für den Frust seiner Frau wenig Verständnis. Anstatt sie zu unterstützen, weicht er aus. Weil er überfordert ist: Einerseits ist Maja die Frau, der er das Jawort gegeben hat. Doch wenn er zu ihr stünde, würde er seiner Mutter untreu – der Frau, mit der er seit seiner Geburt wie mit keinem anderen Menschen verbunden ist.

Im Grunde fühlt sich Ivo von seiner Mutter bedrängt. Ihre Liebe barg schon immer Erwartungen an den Sohn, die der Ehemann nicht erfüllte. Wo der Vater nicht da war, sprang Klein Ivo ein. In ihn konnte sie ihre Träume projizieren. Diese Rolle belastete ihn nicht nur, sie erfüllte ihn auch. Mit dem Gefühl, einzigartig zu sein. Da fiel die Ablösung schwer – zu schwer. Auch wenn er den Ausbruch insgeheim herbeisehnte.

Mutter ist die Nummer eins

Dieser innere Konflikt beherrscht sein Beziehungsleben noch heute. Ivos Mutter ist immer noch die Nummer eins in seinem Leben. Weil er die Beziehung zu ihr nie richtig geklärt hat, wiederholt er das Muster unbewusst mit seiner Partnerin. Auch ihr gegenüber schafft er es nicht, sich abzugrenzen und zu behaupten. Weil er nicht offen Nein sagen kann, bleibt ihm nur die heimliche Verweigerung. Und die steht einem ehrlichen Ja zur Partnerin im Weg.

Vielleicht hat Maja irgendwann genug. Dann muss sich Ivo, wenn ihm an der Beziehung liegt, von der Mutter abnabeln. Er muss damit leben können, dass das seiner Mutter nicht gefällt. Mag sein, dass die Beziehung zu ihr zunächst abkühlt – wahrscheinlich normalisiert sie sich mit der Zeit. Denn das Band zwischen Mutter und Kind lässt sich nicht durchbrechen. Wohl aber lassen sich die Rollen neu definieren. Ivo kann seinen Wert auf die Dauer nicht daraus beziehen, Partner, Helfer, Held der Mutter zu sein. Er ist ihr Sohn, basta. Mehr noch: Er ist ein unabhängiger, erwachsener Mensch. Glücklich wird er nur, wenn er es wagt, seinen Mann zu stehen. Sonst bleibt er ein abhängiger Spielball der Wünsche anderer.

Unnötige Rivalitäten

Ivo und Maja täten gut daran, einander zu erzählen, wie sie die Rollenverteilung in der Beziehung und in ihrer Herkunftsfamilie erleben und erlebt haben. Dann könnten sie gemeinsam bestimmen, was die Wörter «Mutter», «Vater», «Sohn», «Tochter», «Ehemann» und «Ehefrau» in ihrer Partnerschaft bedeuten sollen. Ziel ist, alle Rollen möglichst gut voneinander abzugrenzen. Denn wo ein unsauberes Gemisch herrscht, kommt es zu falschen Ansprüchen, lähmender Befangenheit und unnötigen Rivalitäten.

Erst wenn dieses Knäuel entwirrt ist, hat jeder seinen Platz, und die Lage ist entschärft. Maja beraubt ihre Schwiegermutter allenfalls einiger Träume, nicht aber ihres Sohnes. Wenn Ivo seiner Mutter gegenüber Stellung bezieht, sollte er ihr das immer wieder klar machen. Gleichzeitig ist es für seine Ehe lebensnotwendig, dass er in der Auseinandersetzung mit der Mutter zu seiner Frau steht. Denn es reicht nicht, dass zwei Menschen zueinander passen. Sie müssen auch zueinander stehen. Mit dem Jawort vor dem Traualtar ist es nicht getan. Sie müssen es sich immer von neuem geben.

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