Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

22.4.2004

Auf ins Neuland

Wer in seinen Gewohnheiten verharrt und nichts Neues mehr ausprobiert, fühlt sich schneller alt. Denken Sie deshalb um.

«Hier drin lassen sich 10000 Musikstücke speichern!» Stolz zeigt Gian seinem Freund Ferdy ein winziges Maschinchen. «Kauf dir auch so was! Deine Kassetten kannst du wegwerfen!» Wegwerfen? Nie! Ferdys Kassetten sind kostbare Erinnerungen an seine Jugend. Mit neumodischem Schnickschnack hat er nichts am Hut. Er hält es wie der Bauer, der nicht isst, was er nicht kennt. Er muss Neues nicht ausprobieren – er weiss, dass er es nicht mag. Er liebt das Vertraute und mag keine Veränderungen.

Ferdy sehnt sich nach Dauer. Er akzeptiert nicht, dass Dinge vergänglich sind. Dass, wo Neues entstehen will, Altes sterben muss. Ferdy will diesen Tod nicht zulassen. Er will sich weder von alten Kassetten noch von alten Verhaltensweisen oder Beziehungen trennen.

Neues ist unberechenbar

Ebenso schwer fällt es ihm, Neuem zu begegnen. Neues ist unberechenbar. Wer Neues wagt, hat es nicht im Griff, nicht unter Kontrolle. Er muss es erst mühsam lernen, bevor es ihm ganz allmählich vertraut wird und er vielleicht viel später einmal die Früchte ernten kann.

Da bleibt Ferdy lieber stehen. Richtig glücklich ist er dabei zwar schon lang nicht mehr. «Wars das?», fragt er sich immer öfter. Während er krampfhaft versucht, die Zeit anzuhalten, läuft sie ihm davon. Er fühlt sich wie von gestern. Uralt. Ausgerechnet er, der solche Sehnsucht nach der Jugend hat. Damals erlebte er noch echte Glücksgefühle.

Warum? Weil die jungen Jahre eines Menschen eine Epoche des Staunens sind, in der er täglich Neuem begegnet und dazulernt. Lernen hält jung, es ist das beste Hirntraining: Das Gehirn braucht, wie der Körper, Bewegung, um fit zu bleiben. Wer die Bewegung, die Veränderung scheut, wer in seinem Leben den Tod des Alten und die Geburt des Neuen nicht zulässt, gelangt zum Stillstand. Dort ist zwar viel Vertrautes, aber nicht mehr viel Lebendiges. Wer still steht, läuft Gefahr, sich zu langweilen und sich wie Ferdy «uralt» zu fühlen.

Wie kann Ferdy seine Angst vor Bewegung abbauen? Indem er ganz kleine Schritte macht. Um sich nicht zu überfordern. Er könnte einen Kurs besuchen, neue Wanderrouten austesten oder ein Kochbuch kaufen. Und es dabei wie sein Freund Gian halten.

Vorurteile abbauen

Der ist auch skeptisch gegenüber Neuem. Aber er weiss, dass seine anfängliche Abneigung vor einer Sache vor allem daran liegt, dass sie ihm nicht vertraut ist. Vorurteile wie «Ich mag das nicht» ersetzt er daher durch nicht wertende Sätze wie «Ich kenne das nicht». Er wagt erst dann ein Urteil, wenn er etwas mindestens dreimal ausprobiert hat. Denn erst dann ist es ein bisschen vertraut.

So kann auch Ferdy eine neue Sache ganz gemächlich austesten und muss sie nicht vor lauter Angst von sich weisen. Wenn er sich dann entscheidet, sie in seinen Tresor des Vertrauten aufzunehmen, fällt ihm der Tod des Alten, das sie ersetzt, viel weniger schwer. Er kann dieses Alte getrost der Vergangenheit zuordnen, weil er einen Schritt weiter gegangen ist. Indem seine Angst vor der Vergänglichkeit abnimmt, steigt seine Lust auf Neues. Und irgendwann akzeptiert auch er die Lebensweisheit des griechischen Philosophen Heraklit: «Alles fliesst», sagte der, «es gibt nichts Dauerhaftes ausser der Veränderung.

Bewegungstraining fürs Hirn