Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
15.4.2004
Lobende Wort sind Ihnen peinlich? Fragen Sie sich warum und lernen Sie, Komplimente anzunehmen.
«Du bist so gescheit!» «Du stellst mit deinem Aussehen alle in den Schatten!» «Du bist der beste Koch der Stadt!» Komplimente sind was Schönes. Und doch erfreuen sie nicht immer. Anstatt ein «Dankeschön!» ernten sie abweisende Worte – von «Nicht doch!» über «Du kannst das viel besser!» bis hin zu «Du spinnst!» Warum?
Da gibt es zahllose Gründe. Misstrauen etwa. Komplimente eignen sich ja durchaus dazu, Menschen um die Finger zu wickeln. Das weiss jeder Verkäufer. Wer in einem Kompliment also eine Falle wittert, weist es lieber zurück. Etwa der «beste Koch der Stadt», der das soeben erhaltene Kompliment als Aufforderung liest, von nun an immer zu kochen.
Messlatte zu hoch gesteckt
Vielleicht behagt ihm auch die Erwartung nicht, die er hier heraushört. Besser als alle Köche der Stadt soll er sein. Das ist eine hohe Messlatte. Dabei ist er selbst über seine Kochkünste gar nicht so stolz. Er fürchtet, bei der nächsten Kochaktion als müder Laie entlarvt zu werden – falls das Kompliment nicht sowieso nur eine Höflichkeitslüge war.
Merke: Wer wenig selbstbewusst ist, reagiert allergisch auf Komplimente. Entweder, weil er früher oft getadelt und bestraft wurde und zum Schluss gekommen ist, er habe kein Lob verdient. Oder weil er, ganz im Gegenteil, zum Wunderkind erkoren wurde und man höchste Erwartungen in ihn steckte. Mit seinem «Ich bin nicht so gut!» trotzt er noch heute gegen diese Erwartungen. Vielleicht findet er aber auch, nur er selbst könne sich bewerten. Das Kompliment eines grünen Laien anzunehmen verbietet ihm sein Stolz. Oder es steht ihm nicht sein Stolz, sondern seine Bescheidenheit im Weg: Er sieht es als Charakterschwäche, sich in der Bewunderung anderer zu sonnen. Darum kontert er auf jedes Kompliment mit einem Gegenkompliment – bei dem es sich oft nur um leere Worte handelt.
Dieses Komplimente-Pingpong kann auch der heimlichen Jagd nach Komplimenten dienen. Auf jedes «Nicht doch!» doppelt der andere garantiert nach. Und siehe da, zu guter Letzt steht der «beste Koch der Stadt» plötzlich als «bester Koch des Universums» da. Das freut ihn. Auch wenn ers nicht zugibt. Denn Hochmut, so weiss er, kommt vor dem Fall.
Alte Erinnerungen wecken
Vielleicht wurde er als Kind immer mit anderen verglichen und so zum Irrglauben verleitet, es gäbe bessere und schlechtere Menschen. Ein Kompliment, besonders eins, das ihn mit anderen vergleicht, ruft alte Erinnerungen der Art «Ich bin besser als du, ätsch» hervor. Womöglich denkt er noch heute insgeheim, dass er «besser» sei. Und hat deshalb Schuldgefühle. Die kompensiert er mit Bescheidenheit.
Fazit: Ob Misstrauen, Scham, Trotz, Stolz, Bescheidenheit oder Schuldgefühle – es gibt zahllose Gründe, Komplimente zurückzuweisen. Schade. Denn sie sind, wie gesagt, etwas Schönes. Wenn man das Hinterfragen lässt und sie einfach als das nimmt, was sie sind: nette Sätze, die zu nichts, aber auch zu gar nichts verpflichten.
Darum heisst es bei jedem Kompliment: «Lächeln und Danke sagen». Meist ist ein Kompliment, auch wenn die Formulierung oft ungeschickt ist, ja wirklich nett gemeint. Und wer es zurückweist, tut vor allem eins: Er verletzt einen ihm wohlgesinnten Menschen.