Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

18.3.2004

Versteckte Giftpfeile

Statt geradeheraus wird Wut oft hintenherum ausgelebt. So geht man mit versteckt aggressivem Verhalten um.

Zu spät kommt jeder Mensch einmal. Er versäumt Termine und vergisst Versprechen. Er lässt das Essen anbrennen. Er verschlampt Dinge. Er tritt ins Fettnäpfchen und wählt ungeschickte Worte. Ausrutscher passieren – der Mensch ist nun mal nicht perfekt.

Manchmal aber liegt mehr hinter den Patzern. Manchmal widerspiegeln sie Missbilligung, Feindseligkeit, ja Rache. Vordergründig ist er zufrieden mit allem und jedem. Doch seine Taten drücken anderes aus: «Ich bin frustriert», sagen sie, «Ich stimme nicht zu», «Ich will das nicht» oder «Ich habe ein Problem mit dir».

Die wahren Motive erkennen

Passiv-aggressives Verhalten nennt man das. Es tritt auf, wenn eine Scheu davor besteht, sich aktiv zu behaupten. Weil man befürchtet, aus einem Konflikt als Verlierer herauszugehen. Weil man gelernt hat, dass Wut etwas Schlechtes ist. Weil man meint, nur dann zu gefallen, wenn man zustimmt und pflegeleicht ist.

Doch der passiv-aggressive Schuss geht nach hinten raus: Erstens lernt – wer vor Konflikten flieht – nicht, sich durchzusetzen, seine Angst vor Konflikten wächst. Zweitens steigt die Furcht vor unangenehmen Gefühlen, wenn diese verdrängt werden. Und drittens löst passiv-aggressives Verhalten beim Gegenüber Wut aus und führt zu neuen Konflikten.

Dora etwa ertränkt, während ihr Freund Emil in den Ferien ist, dessen Pflanzen. Bei seiner Rückkehr beteuert sie: «Ach, Schatz, es tut mir so Leid!» Auf sein entsetztes «Einmal pro Woche giessen sagte ich!» erwidert sie: «Nein, du hast einmal pro Tag gesagt. Kann ich was dafür, dass du dich versprichst?» Passiv- Aggressive verstehen es meisterlich, sich als unschuldig und die anderen als Schuldige hinzustellen. Das schürt Wut.

Und löst oft einen passiv-aggressiven Gegenschlag aus: Emil etwa macht morgen beim Znacht mit Freunden böse Witze über Doras Kampf mit ihren Kurven. Dora lächelt eisern. Sie sagt ihm nicht, wie verletzt sie ist. Aber fortan übermannt sie jedes Mal, wenn Emil im Ehebett aktiv wird, eine bleierne Müdigkeit.

Und so beschiessen sich die zwei hinterrücks mit Giftpfeilen. Für nichts. Denn den wahren Konfliktherd berühren sie nicht – dass Dora sich versetzt fühlte, weil Emil ohne sie verreiste. Wahrscheinlich gestand sie sich ihre Motive nicht mal ein. Das ist oft der Fall. Viele sind sich ihres passiv-aggressiven Verhaltens nicht bewusst.

Offenheit an den Tag legen

Dora blosszustellen bringt nichts, sie auf ihre verdrängten Gefühle anzusprechen, ist riskant. Angenommen etwa, Dora hat wirklich im besten Wissen gehandelt – weil Emil tatsächlich «einmal pro Tag» gesagt hat. Versehentlich. Denn er mochte seine Pflanzen insgeheim nicht: Besser, als das Verhalten anderer zu interpretieren, ist es, das eigene Verhalten regelmässig auf das Vorhandensein heimlicher Giftpfeile zu hinterfragen.

Am besten aber ist es, seinen Mitmenschen Vorbild zu sein und Offenheit bezüglich der eigenen Gefühle und Schwächen an den Tag zu legen. Damit schlägt man gleich zwei Fliegen: Erstens trauen sich die anderen selbst eher, offen zu sein. Und zweitens vermindert man das Risiko, selbst in die passiv-aggressive Falle zu rutschen. Denn die Gefahr besteht bei jedem. Der Mensch ist nun mal nicht perfekt.

Selbsthilfe bei passiv-aggressivem Verhalten