Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

26.2.2004

Mut zum Bruch

Was tun, wenn in einer Freundschaft der eine mehr nimmt, als er gibt? Reden Sie Klartext.

Eine richtige Freundschaft bedingt ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen. Doch bisweilen nutzt der eine den anderen aus. Etwa die Narzisstin, für die ihre Freundin das Publikum ist, in dessen Bewunderung sie sich sonnt. Oder der Jammerlappen, der den Kollegen als Topf braucht, in dem er sämtliche Sorgen ablädt. Oder die Unselbständige, die will, dass ihre Freundin sie rettet. Oder der Missmutige, dem es nur dann besser geht, wenn er die Stimmung des anderen auf sein Niveau herabgezogen hat.

Hier passiert immer das Gleiche: Eine Person nimmt sich ungeniert, während die andere vor allem gibt. Sie schenkt Bewunderung und Mitgefühl, gibt Rat und Hilfe, bietet sich als Zielscheibe von Frust und Bitterkeit an.

Im Guten das Gespräch suchen

Doch irgendwann fühlt sie sich ausgenutzt. Niedergemacht. Ausgelaugt. Da ist es an der Zeit, das Gespräch zu suchen. In diesem Gespräch sollte sie sich davor hüten, ihr Gegenüber als Bösewicht anzuprangern. Viel konstruktiver ist es, wenn sie die Freundschaft ins Zentrum stellt und erklärt, warum diese ihr, so, wie sie sich gestaltet, nicht gut tut.

Denn möglicherweise haben andere ja keine Probleme mit diesem Menschen. Sei es, weil sie weniger empfindlich auf seine Verhaltensweisen oder Wesenszüge sind. Oder sei es, weil er diese anderen gegenüber nicht im gleichen Masse auslebt. Der Mensch braucht für die Pflege seines Verhaltens und seines Charakters das passende Gegenüber. Die Narzisstin braucht ihr Publikum, der Jammerlappen seinen Sorgentopf, die Unselbständige ihren Retter, der Missmutige seine Zielscheibe: Ein Beziehungsmuster wird immer von zweien gemacht.

So ein Muster «funktioniert» oft über Jahre, weil beide einen Gewinn daraus ziehen. Auch der, der vordergründig ausgenützt wird, profitiert insgeheim, wenn auch auf ungesunde Weise. Doch der Mensch entwickelt sich. Und so stimmt für manch einen heute nicht mehr, was gestern noch in Ordnung schien. Plötzlich durchschaut er das Muster, und die Freundschaft wird zur belastenden Gewohnheit. Und ist, wie jede Gewohnheit, schwer zu brechen. Zumal jeder Freund, jede Freundin ein Eintrag im Adressbuch ist, und ein volles Adressbuch fühlt sich gut an.

Geschickte Strategien

Ausserdem appellieren die Freunde, sobald sie den drohenden Bruch riechen, gern mit Sätzen wie «Was wäre ich nur ohne dich?» oder «Warum rufst du nie an?» an Pflichtbewusstsein und Schuldgefühle. Aber das sind keine guten Gründe für eine Freundschaft. Darum heisst es «Mut zum Bruch». Auch wenn sich einer dabei zunächst versetzt fühlt, wird er auf die Dauer danken, denn auch er wird im Nachhinein merken, dass das Beziehungsmuster ungesund war. Und auf die Frage «Was wäre ich nur ohne dich?» hat er irgendwann selbst eine Antwort: «Von dir unabhängig.»

Es muss übrigens gar nicht sein, dass das klärende Gespräch das Ende der Freundschaft bedeutet. Vielleicht wird das Gegenüber ja wachgerüttelt und wagt, zu zweit einen Schritt weiter zu gehen. Und dann kann die Freundschaft über ihr Muster hinauswachsen, weil die Menschen dahinter wichtiger sind. «Mut zum Bruch» – ja: zum Bruch der Freundschaft, wie sie war. Doch vielleicht steht dahinter der Beginn einer neuen, viel besseren.

Klärende Tipps