Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

22.1.2004

Weniger ist mehr

Eltern, denen die Erziehung ihrer Kinder besonders wichtig ist, sind oft überfordert.

Manchmal fühlt sich Heidi wie eine Zehnkämpferin: Sie hat einen sieben- und einen fünfjährigen Sohn und arbeitet als Teilzeit-Angestellte. Ihr Mann Rolf ist beruflich sehr engagiert und hat viel zu wenig Zeit für die Familie. Heidi ist gereizt, sie schläft schlecht, sie kann sich nicht konzentrieren. Sie ist ausgebrannt.

Heidi will das Beste für ihre Buben. Sie will sie optimal fördern. Das Angebot für Kinder – von Kursen bis zu Spezialtherapien – ist überwältigend. Doch was und wie viel ist richtig? In Zeitschriften und Büchern wimmelt es von Weisheiten und Theorien über Kinderentwicklung und -erziehung, die sich mitunter völlig widersprechen. Woran soll sie sich bloss halten?

Wütend statt geduldig

Und dann sind da die «neuen» Kinderkrankheiten, allerlei erschreckende Diagnosen, von Depression bis Hyperaktivität. Sind die Eltern daran schuld? Heidi kann sich das gut vorstellen. Sie fühlt sich selbst so unzulänglich als Mutter. Statt Liebe und Geduld hat sie manchmal nur noch Wut für ihre Buben übrig. Sie hat deshalb oft ein schlechtes Gewissen.

Gestresstheit, Verunsicherung, schlechtes Gewissen: Das ist ein ungesunder Mix an unguten Gefühlen, die sich gegenseitig verstärken. Denn wer verunsichert ist, übernimmt sich. Das verursacht Stress und zerrt an den Nerven. Wut ist die Folge. Die verursacht ein schlechtes Gewissen. Um dieses zu kompensieren, übernimmt man sich. Und so weiter.

All das schadet den Kindern. Denn Kinder haben äusserst feine Sensoren für Stimmungen. Sie spüren, wenn es ihren Eltern schlecht geht. Dann bekommen sie selbst ein schlechtes Gewissen, weil sie denken, sie seien schuld daran. Das verunsichert sie.

Was kann Heidi tun? Innehalten für eine Bestandesaufnahme, bei der sie unbedingt auch ihren Mann einbeziehen sollte. Der Besuch einer Eltern- oder Eheberatung kann dabei helfen. Sowohl Heidi als auch Rolf sollten ihre Rollen als Mutter und Vater, als Ehefrau und Ehemann regelmässig neu definieren, und zwar miteinander. Richtig ist das, was für beide stimmt. Es gibt so viele Familienmodelle, wie es Familien gibt, Erziehungstheorien hin oder her.

Eigene Bedürfnisse abklären

Vielleicht merkt Heidi, dass sie mehr Zeit für sich braucht. Oder für die Beziehung mit Rolf. Vielleicht will Rolf bei der Arbeit reduzieren. Vielleicht suchen die beiden einen Babysitter oder ein Aupair. Wichtig ist, dass sie miteinander reden und gemeinsam Lösungen und Kompromisse suchen. Dass sie am gleichen Strick ziehen – das gilt auch für Eltern, die nicht zusammenleben. So werden die Stressgefühle reduziert, und die Stimmung zu Hause ist besser.

Denn das Wesentliche ist: ein glückliches Elternhaus. Glückliche und zufriedene Eltern sind hervorragende Vorbilder für Kinder. Und sie bieten den Kindern das Wichtigste überhaupt: eine warme Atmosphäre der Liebe, der Akzeptanz und der Geborgenheit. Mit dieser Sicherheit im Rücken entwickeln die Kleinen ein erstaunliches Mass an Selbständigkeit und Kreativität. Da wollen sie «selber machen», selbst Erfahrungen sammeln. Die beste Förderung einer gesunden Kinderentwicklung ist das Gefühl, bedingungslos geliebt zu werden. Das kann kein Spezialtraining und kein Extrakurs wettmachen.

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