Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

16.10.2003 2

Eigenlob stinkt nicht

Wer lernt, sich selbst auf die Schulter zu klopfen, ist nicht auf die Bestätigung anderer angewiesen.

Lisa glaubt es nicht: Wochenlang hat sie sich abgerackert, um das neue Postsystem für ihre Firma zu entwickeln. Und jetzt, nach seiner Vollendung, interessiert sich niemand für ihr Werk. Ihre Chefin quittiert es mit einem kurzen «Danke schön», und bei der Präsentation gähnen die Mitarbeiter, anstatt zu klatschen. Dabei ist die Entwicklung ein Riesenfortschritt für die Firma. «Nie mehr!», schwört sich Lisa. «Nie mehr investiere ich so viel Energie in diesen undankbaren Haufen!»

Zielscheibe der Aggression

Wer kennt das nicht: Da gibt man sein Bestes, und zurück kommt rein gar nichts. Manchmal erntet man sogar Missgunst und Ablehnung. So geht es Michael, Lisas Nachbar. Als Sozialarbeiter in einem Heim für schwer erziehbare Teenager ist er die Zielscheibe jugendlicher Aggressionen auf die Erwachsenen. «Wie hältst du das nur aus?», fragt Lisa. Michael überlegt kurz: «Ich gebe den Kids, was sie brauchen. Ich mag sie zu sehr, um von ihnen zu verlangen, dass sie mich mögen.»

Michael macht seinen Job gern. Er weiss, dass er ihn gut macht. Das reicht ihm. Michael ist ein Meister des Sich-selbst-auf-die-Schulter-Klopfens. Ein Meister des Eigenlobs. «Eigenlob stinkt», sagt der Volksmund zwar. Doch nur bei denjenigen, die mit ihren Taten prahlen müssen, weil sie nach Lob, Anerkennung und Komplimenten dürsten. Michael hingegen tut das nicht. Er ist keiner, der nach Komplimenten fischt.

Dem Gefühl vertrauen lernen

Was unterscheidet Michael von Lisa? Michael vertraut in seine Fähigkeiten. In sein Gefühl, das ihm sagt, dass er gute Arbeit leistet. Lisa hat dieses Gefühl auch, doch sie traut ihm nicht. Sie braucht die Bestätigung der anderen. Michaels Ziel ist es, gute Arbeit zu leisten. Lisas Ziel ist es zu gefallen. Das Dumme dabei ist nur: Lob, Komplimente und anerkennende Worte sind selten; sie kommen vor allem dann nicht, wenn man darauf wartet.

Das hat vielerlei Gründe. Gute Arbeit löst bei anderen oft Neid und Eifersucht aus. Hinzu kommt: Was der eine für gut befindet, muss nicht unbedingt dem Geschmack des anderen entsprechen oder auf dessen Zustimmung stossen. Abgesehen davon, ist der sowieso meistens mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Möglicherweise sogar mit der eigenen Frustration: weil er sich gerade selbst nach Lob sehnt.

Ungesunde Abhängigkeit

Menschen wie Lisa, die ihre Taten danach ausrichten zu gefallen, ziehen auf die Dauer den Kürzeren. Erstens, weil sie zu Sklaven des Urteils anderer werden. Zweitens, weil sie sich damit um den Genuss bringen, der das Verrichten einer engagierten Arbeit auslöst. Weil sie ständig auf die Anerkennung schielen, die sie gerne dafür hätten. Ihr Ziel sollte es sein, wie Michael Vertrauen in das eigene Urteil, die eigenen Wertvorstellungen zu entwickeln. Zu realisieren, dass es nicht die Aufgabe der anderen ist, ihnen Anerkennung zu zollen, sondern, dass sie selbst das am besten können.

Und jedes Mal, wenn sie von jemand anderem mit anerkennenden Worten gelobt werden, ist das ein Luxus und keine Selbstverständlichkeit. Den sie auch in vollen Zügen geniessen sollten und selbstverständlich auch anderen grosszügig gewähren.

Über den Umgang mit Lob