Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

9.10.2003 1

Frust nach der Kauflust

Shopping kann süchtig machen. Wenn die gekaufte Ware für ungestillte Bedürfnisse herhalten muss.

Wenn Eva in ihren Kleiderschrank blickt, überfallen sie unangenehme Gefühle. Darin hängt so vieles und doch nie das Richtige. Dabei kauft Eva weiss Gott genug Kleider. In Kaufhäusern wird ihr ganz heiss; ihr Puls schlägt höher. Sie muss kaufen. Zu Hause bereut sie es dann: Die Sachen stehen ihr nicht! Schon wieder hat sie Geld zum Fenster hinausgeworfen! Voll Selbstvorwürfe versteckt sie Kleidungsstück um Kleidungsstück in den Tiefen des Schranks.

Und so kauft sie immer mehr und hat doch nie genug. Denn auf ihren Kaufhaus-Streifzügen sucht sie im Grunde das Falsche. Sie jagt nicht nach Kleidern, sondern nach einem Gefühl: dem Kaufrausch. Dieses wohlige, prickelnde Gefühl der Erfüllung, der Befriedigung, der Macht, das sie bei ihren Kauforgien überfällt. «Das kann ich, das bin ich mir wert», drückt es aus.

Jeder Fünfte betroffen

Der Kaufrausch kann süchtig machen. Jeder Fünfte im deutschsprachigen Raum ist gefährdet. Die einen überfällt er in der Kleiderabteilung, andere im Buchladen, andere in Handwerksgeschäften. Dahinter verstecken sich unerfüllte Sehnsüchte. Ein Hunger nach dem, was die Produkte, die man kaufen möchte, symbolisieren: Kleider stehen für Stil, Bücher für Bildung, Werkzeuge für handwerkliches Geschick.

Das sind lauter positive Eigenschaften, die dem Menschen Anerkennung bringen. Und danach sehnt sich Eva im Grunde: nach Anerkennung, nach Zuneigung, nach Liebe. Sie teilt ihre Sehnsucht mit zahllosen anderen Menschen, die durch Kaufhäuser, Boutiquen und Fachgeschäfte streifen. Ihr Hunger ist das Futter, das die Konsumindustrie gedeihen lässt.

Tatsache ist, dass die Kleider Eva nicht schön und liebenswert machen können, wenn Eva sich nicht schön und liebenswert fühlt. Wer seine Sehnsucht auf Sachen projiziert, flieht vor sich selbst. Ihre Kleiderkäufe bereichern Eva nicht, sondern machen sie ärmer – nicht nur finanziell: Eva verarmt auch in ihrer Beziehung zu sich selbst.

Wie kann Eva ihr Kaufverhalten überwinden? Indem sie Kaufhausbesuche auf das Minimum reduziert, damit sie sich nicht in Versuchung führt. Indem sie abklärt, wie viel Geld sie im Monat für Dinge ausgibt, die sie nicht braucht. Und indem sie diesen Monatsbetrag auf die Seite legt und in Dinge investiert, bei denen sie als Person im Zentrum steht und sich mit sich selbst auseinander setzt.

Massage oder Stilberatung

Sie könnte etwa zur Kosmetikerin oder zur Masseuse gehen, sich in Sachen Karriere, Farbtyp oder Stil beraten lassen und sich einen Yogakurs oder ein Wellnessabo leisten. Es mag paradox klingen, aber für Eva ist auch der Besuch einer Damenschneiderin heilsam. Hier ersteht sie zwar auch Kleider, doch wird ihr nicht diktiert, was sie kaufen soll, sondern sie kann selbst herausfinden, was sie will. Was ihr ganz persönlicher Stil ist.

Je mehr Eva weiss, was sie will, desto weniger wird sie sich durch das beeindrucken und ablenken lassen, was ihr in der Werbung und im Kaufhaus vorgegaukelt wird. Je gefestigter ihre Beziehung zu sich selbst ist, desto weniger muss sie innere Leere mit materiellen Gütern stopfen. Und wenn sie zu ihrem persönlichen Stil findet, findet sie auch zu der Schönheit, nach der sie sich so gesehnt hat.

Infos für Kaufsüchtige