Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

25.9.2003 9

Aus Feind wird Freund

Im täglichen Umgang mit anderen schalten wir oft auf Abwehr. Dabei kämen wir lächelnd schneller zum Ziel.

Der Mensch besitzt die äusserst menschliche wie auch ziemlich lästige Angewohnheit, sich als Nabel der Welt anzusehen. Was zur Folge hat, dass er das Verhalten seiner Mitmenschen automatisch auf sich bezieht. Wenn diese unfreundlich oder unhöflich sind, ihn missachten oder übersehen, dann meint er, sie hätten etwas gegen ihn. Sie seien ihm feindlich gesinnt.

Dabei übersieht er etwas ganz Wesentliches: dass sie sich ebenfalls als Nabel der Welt ansehen. Und dass sich ihr Verhalten nicht um ihn, sondern um sie selbst dreht. Wenn sie unfreundlich oder rücksichtslos sind, dann sind sie das in der Regel nicht, weil sie etwas gegen ihn haben, sondern weil ihnen heute morgen etwas über die Leber gelaufen ist, weil sie ein Problem haben oder befürchten, zu kurz zu kommen.

Ein Teufelskreis

Nicht selten verbirgt sich hinter ihrem Verhalten auch die Angst, der andere habe etwas gegen sie. Er sei ihr Feind. – Ein regelrechter Teufelskreis: Wer den Feind im Gegenüber erkennt, tritt ihm mit Angriffs- oder Abwehrhaltung gegenüber und löst damit feindselige Gefühle und eine feindselige Reaktion aus.

Wer ihn sucht, entdeckt den Feind überall: im zugeknöpften Nachbarn, im zackigen Zollbeamten, in der mürrischen Serviertochter, im wortkargen Arbeitskollegen, in jedem finsteren Gesicht im Tram, auf der Strasse, im Laden, auf dem Amt. Sie alle lassen sich mit links zu Feinden machen.

Doch der Mensch braucht keine Feinde. Er braucht ihm wohl gesinnte Menschen. Wenn es ihm gelingt, den Nachbarn, den Zollbeamten, die Serviertochter, den Arbeitskollegen für sich zu gewinnen, dann wird sein Leben wesentlich angenehmer, und er kommt schneller zum Ziel.

Eine äusserst wirksame, hierzulande aber erschreckend sparsam angewandte Methode, Menschen für sich zu gewinnen, ist das Lächeln. Ein Lächeln zeigt jedem, dass man ihn mag. Sicherlich braucht es etwas Überwindung, unfreundliche Menschen anzulächeln, zumal sie einen ja nicht gerade dazu einladen.

Aber es lohnt sich. Und es fällt leichter, wenn man sich bewusst ist, dass diese finsteren Zeitgenossen keine Feinde, sondern Menschen sind und dass sich hinter ihrem Verhalten nicht selten ein ganzer Berg von Sorgen und Problemen verbirgt. Diese Einsicht macht diese natürlich nicht zum perfekten Zollbeamten und zur perfekten Serviertochter – aber wer ist schon perfekt?

Niemand ist perfekt

Die Idee ist es, in dieser von lauter nicht perfekten Menschen bevölkerten Welt einen möglichst reibungslosen, konstruktiven Umgang miteinander zu entwickeln. Das Motto lautet nicht: «Alle sind gegen mich», sondern: «Alle sind Menschen wie ich.» Jedes grimmige Gesicht im Tram, auf der Strasse, im Laden, auf dem Amt.

Wer diese Menschen anlächelt und ihnen vielleicht auch noch mit einer freundlichen Bemerkung zeigt, dass er sie als Menschen wahrnimmt und respektiert, der kommt mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit schneller zum Ziel als derjenige, der sich von ihren finsteren Mienen abschrecken und anstecken lässt.

Und er wird erstaunt sein, wie viele dieser Menschen, geradezu erleichtert zurücklächeln.

Tipps für den Alltagsumgang