Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

4.9.2003

Zuhören als Geheimrezept

Wer anderen mit echtem Interesse zuhört, gewinnt Freunde. Und wird dabei selbst erst noch interessanter.

Kein Zweifel: Die allermeisten Menschen wären lieber interessant als langweilig. Denn interessanten Leute schenkt man Aufmerksamkeit. Der Mensch steht gern im Rampenlicht, ob er sichs zugesteht oder nicht.

Wer bei einer anderen Person auf der Beliebtheitsskala ansteigen will, schenkt ihr Aufmerksamkeit. Nein, keine Schmeicheleien. Denn die sind meist leer und vorgeheuchelt und hinterlassen beim Empfänger einen schalen Nachgeschmack. Aufmerksamkeit hingegen bedeutet echtes Interesse.

Andere ins Zentrum stellen

Was heisst das? Das heisst, dass man sich zurücknimmt und den anderen ins Rampenlicht stellt. Man erklärt indirekt: «Ich bin die Nummer zwei. Du bist wichtiger, interessanter, gescheiter als ich.» Das fällt vielen unglaublich schwer. Erstens will man ja selbst die Nummer eins sein, zweitens will man Eindruck machen und keine Schwäche zeigen. Gespräche ähneln daher oft Machtkämpfen, deren einziger Zweck es ist, einander zu imponieren und zu übertrumpfen. Eins kommt dabei zu kurz: das Zuhören.

Zuhören. Also nicht einfach dasitzen und in regelmässigen Abständen «Hm» und «So?» einwerfen, während der Kopf bereits das nächste clevere Argument ausformuliert oder die Gedanken völlig abdriften, um sich wichtigeren Dingen (einem selbst nämlich) zuzuwenden. Zuhören heisst, sich wirklich auf das konzentrieren, was der andere sagt, und sich so weit wie möglich in ihn hineinversetzen.

Der interessierte Zuhörer unterbricht nicht, er widerspricht nicht, er weiss auch nicht besser als der Redner, was dieser zu sagen hat. Er hat keine Antworten, Lösungen und Ratschläge auf Lager. Er hört ihm einfach zu. Von Anfang bis Ende. Er schenkt ihm nur ein Ohr und etwas Einfühlung: Das ist alles, was der Redner braucht. Die meisten können das – sie tun es nur viel zu selten, weil sie davon ausgehen, dass dabei nichts für sie selbst herausspringt.

In der Tat aber kann ein interessierter Zuhörer Erstaunliches erreichen. Er kann zürnende Drachen zu schwanzwedelnden Dackeln zähmen, grauen Mäusen wahre Schätze an Weisheiten entlocken, plötzlich Logik im irrsten Kauderwelsch erkennen.

Mut und Geduld nötig

Es lohnt sich tatsächlich, andere ins Rampenlicht zu stellen und ihnen zuzuhören. Wer die Geduld, die Grösse und den Mut dazu aufbringt, macht nicht nur aus Feinden Freunde – er lernt auch dazu. Denn erstens weiss jeder Mensch auf irgendeinem Gebiet mehr als sein Zuhörer. Und zweitens ist es ungemein bereichernd und bewusstseins – erweiternd, die eigenen vier Hirnwände ab und zu zu verlassen und die einer anderen Person zu besuchen.

Freilich gibt es auch Menschen, denen zuzuhören sich nicht lohnt: den ewig quasselnden Grossmäulern und Quenglern, die wirklich nur sich selbst sehen und hören wollen. So gescheit sie auch daherreden, sie sind doch öde und eindimensional. Denn sie blicken nie über den eigenen Gartenzaun. Genau das unterscheidet Langweiler von interessanten Menschen: Interessante Menschen sind an anderen Menschen interessiert.

So zeigen Sie echtes Interesse

Buchtipp

Dale Carnegie: «Wie man Freunde gewinnt»
Droemersche Verlagsanstalt Th., München, 2003