Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

17.7.2003 9

Zuhören statt befehlen

Wenn wir unseren Kindern zuhören und sie ernst nehmen, lernen sie leichter, Verantwortung zu tragen.

Erwin ist zappelig. «Ich will raus, mit den anderen spielen!» Seine Mutter Sandra antwortet genervt: «Nein! Hab ich dir nicht gesagt, dass du zuerst deine Hausaufgaben machen sollst?» «Ich will aber raus!», quengelt der Siebenjährige. Sandra wird böse: «Nein! Du machst jetzt deine Aufgaben!» «Ich will aber nicht!», ruft Erwin störrisch. Sandra platzt der Kragen: «Wenn du deine Aufgaben nicht machst, kriegst du keinen Znacht!»

Daraufhin verzieht sich Erwin in sein Zimmer. Für die Aufgaben braucht er Stunden und macht sie so schlampig, dass er sie nochmal abschreiben muss. Am nächsten Tag spielt sich dasselbe Drama ab.

Das Schema durchbrechen

Hier findet offenbar ein Kampf zwischen Erwin und Sandra statt, bei dem beide versuchen, ihren Willen durchzusetzen, aber niemand weiss, warum der andere dies eigentlich will. Erwin fühlt sich kontrolliert und nicht ernst genommen. Er hat das Gefühl, dass seine Mutter gegen ihn ist. Das nimmt ihm die Lust, ihr entgegenzukommen.

Sandra kann dieses Schema durchbrechen, indem sie statt des Gegeneinanders ein Miteinander in die Wege leitet. Dabei geht sie erst mal den Gründen für Erwins Verhalten nach. Sie fragt: «Warum willst du deine Aufgaben nicht machen?» Er antwortet: «Weil sie blöd sind.» Sandra hört aufmerksam zu und wiederholt seine Aussage: «Aha, du findest die Aufgaben blöd.»

So wertet Sandra Erwins Aussage nicht, sondern zeigt ihm, dass sie ihn wahrnimmt, ernst nimmt. Sie fährt im gleichen Stil weiter: «Was ist denn besonders blöd an den Aufgaben?» Durch aufmerksames Zuhören und Nachhaken tastet sie sich vor. Am Schluss stellt sich vielleicht heraus, dass Erwin Angst hat, in der Schule zu versagen, oder dass er von den Freunden gehänselt wird, wenn er nicht mitspielt.

Sandra beleuchtet nicht nur die Gründe, sondern auch die Folgen von Erwins Verhalten: «Wenn du die Aufgaben später machst, kann es sein, dass du keine Zeit für den Znacht haben wirst.» Das wirkt viel besser als die Strafandrohung «Wenn du deine Aufgaben jetzt nicht machst, kriegst du keinen Znacht.» Denn Sandra erklärt Erwin den Zusammenhang zwischen Aufgaben und Znacht und lässt ihn wissen, dass es in seiner Macht liegt, ob er einen Znacht kriegt oder nicht.

Zur Selbstständigkeit erziehen

Mit derartigen Sätzen lehrt sie ihn, nicht nur im Moment, sondern auch in die Zukunft zu denken, und erzieht ihn zu selbstständigem Verhalten. Wenn sie ihm indes mit Strafen droht, die nicht mit seinem Handeln in Zusammenhang stehen, erzieht sie ihn zur Unselbstständigkeit: Er wird Dinge nur tun, um diesen Strafen zu entgehen.

Während Sandra und Erwin die Gründe und die Folgen seines Verhaltens durchdiskutieren, erarbeiten die beiden gemeinsam eine Lösung. Das muss nicht unbedingt jene Lösung sein, die Sandra ursprünglich angestrebt hat, wenn sie merkt, dass diese der Situation ihres Kindes zu wenig entsprach. Das heisst nicht, dass sie weniger Autorität über das Kind hat – im Gegenteil: Wenn sie auf Erwin hört, hört er auch besser auf sie.

Tipps:

Buchtipp

Thomas Gordon: «Familienkonferenz»
Heyne Ullstein Verlag, München 2003