Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

5.6.2003 3

Schöne Ferien!

Wie lernt man, in den Ferien loszulassen und zu entspannen und gleichzeitig nicht in ein Loch zu fallen?

Erich liegt am Strand und grübelt. Warum ist er nur so deprimiert? Das Hotel ist gut, das Wetter sagenhaft, das Meer ein Traum ... Er blickt auf die Wellen. Dort planschen seine Partnerin Kim und ihre Freundin Nora. Neben ihm liegt Noras Mann Bruno, versunken in einen Krimi. Alle scheinen die Ferien zu geniessen. Warum er nicht?

In diesem Moment sieht Bruno auf. «Na, du schaust aber grimmig drein!» Erich schweigt. Bruno hakt nach: «Nora meinte, Kim und du hättet Streit ...» Erich seufzt: «Kim findet, ich sei in den Ferien zu nichts zu gebrauchen. Womit sie leider Recht hat.» «Zu nichts Lust, hm?» – «Zu gar nichts.» Bruno legt sein Buch auf die Seite. «Lass mich raten: Du fühlst dich leer und energielos und gleichzeitig angespannt, weil du findest, du vergeudest deine Zeit?»

Geniessen statt grübeln

«Sieht man mir das an?», fragt Erich überrascht. Bruno fährt weiter: «Gleichzeitig grübelst du ständig über deinen Job?» Erich verzieht das Gesicht. «Kenn ich», meint Bruno: «Die Ferienkrise der fleissigen Berufsmenschen. Die einen weichen ihr aus, in dem sie durch einen Aktivurlaub stressen, die anderen ertränken sie im Alkohol – oder sie lassen die Ferien einfach ausfallen. Bis sie zusammenklappen.»

Wie Bruno vor drei Jahren, als er im Sanatorium landete und einen Monat Zwangsurlaub machen musste. Da ist er erst mal in ein Loch gekippt. «Erschöpfungsdepression», nannte es der Arzt. Bruno erzählt: «Mein Motor war völlig leer. Zugleich fühlte ich mich total verloren. Mir wurde klar, dass ich mich nur noch über meinen Job definierte. Ich war mein Job. Hinter meinem Fleiss verbarg sich die Angst, dass ich die Stelle – und damit meinen Halt, ja meine ganze Identität – verlieren könnte. Ich litt in meinem Zwangsurlaub darunter, dass ich keine Kontrolle über das Geschehen am Arbeitsplatz hatte: Mich stresste, dass jemand Fehler von mir aufdecken oder meinen Job gar besser machen könnte als ich – dass ich ersetzbar sein könnte. Umgekehrt hatte ich Angst, dem Arbeitsberg, der mit jedem Tag meiner Abwesenheit wuchs, nach meiner Rückkehr nicht gewachsen zu sein.»

Auszeit einplanen

Erich merkt, dass er hier, am Traumstrand, ähnliche Gefühle durchlebt. «Du hast offenbar dazugelernt», meint er, «du scheinst die Ferien zu geniessen.» Bruno lächelt: «Ich arbeite daran. Ich versuche das Jahr über ein Gleichgewicht zwischen Bruno, dem Berufstätigen, und Bruno, dem Menschen, zu halten.

Ich bin pro Tag eine Stunde und pro Woche einen Tag lang richtig faul. Die Ferien erkläre ich zur Intensiv-Faulzeit. Ich gönne mir das, weil ich im Nichtstun eine Tankstelle sehe: Ich tanke auf und werde wieder leistungsfähiger, weil ich regeneriert habe. Und wenn ich ins Grübeln verfalle, schreibe ich mir die Gedan – ken in meinem Tagebuch von der Seele.» Er zeigt auf seinen Krimi: «Und unter dieser Krimihülle versteckt sich ein Buch über Stress und Burnout. Das Buch erinnert mich an meine wahren Werte.»

Ein Weilchen lang blicken die beiden Männer schweigend auf das tiefblaue Meer. Dann steht Erich auf und geht zum Wasser. Er spürt, wie der Schaum seine Füsse umschmeichelt. Er atmet tief durch. Das fühlt sich gut an. Er beschliesst, heute nur zu atmen. Mehr nicht. Schliesslich hat er Ferien.

Lernen Sie umzudenken