Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

15.5.2003 0

Langsam, aber sicher

Wer eine Sucht wie das Rauchen aufgeben will, muss zuerst sein eigenes Verhalten besser kennen lernen.

Babs zieht tief an ihrer Zigarette. Ah, wie hat sie das vermisst! Doch ihr Genuss wird von dem Gefühl überschattet, eine Versagerin zu sein. Zwei Monate hat sie ihren Vorsatz, nie mehr zu rauchen, befolgt – heute Abend ist sie schwach geworden.

Gute Vorsätze – man fasst sie, und man bricht sie. Wieso eigentlich? Weil sie oft ganz einfach unrealistisch sind. Hitner dem Wunsch, ein besserer Mensch zu werden, verbirgt sich vielfach der Wunsch, ein anderer Mensch zu sein: gesund, sportlich, schlank. selbstbewusst, suchtfrei.

Mit ihren Vorsätzen überfordern sich viele Menschen – und scheitern. An der Tatsache, dass sie nun mal so sind wie sie sind.

Das Gehirn lernt langsam

Babs etwa wollte von einem Tag auf den anderen Nichtraucherin sein. Doc ihr Gehirn hat sich in 25 Jahren eingeprägt, in welchen Situationen Rauchen angesagt war. Und nun sollte es urplötzlich ohne die vertraute Stütze mit diesen Situationen umgehen. Da geriet es mal gehörig aus dem Gleichgewicht: Das Gehirn braucht seine Zeit, sich etwas Altes abzugewöhnen und etwas Neues anzugewöhnen. Egal, wie «schlecht» sie sind, Gewohnheiten und Süchte geben ein Gefühl der Sicherheit. Babs war ohn ihre Zigaretten einfach völlig verunsichert.

Und sie war insgeheim verängstigt. Sucht hat viele Gesichter, doch hinter jedem Suchtverhalten verbergen sich verdrängte Gefühle und unerfüllte Sehnsüchte, und die kommen nach dem Entzug wieder hoch. Dann man sich schnell mal überfordert fühlen; der Rückfall in die Sucht, das bewährte Verdrängungs – und Kompensationsverhalten, liegt nah. Of wird die alte Droge dabei durch eine neue ersetzt: das Trinken etwa durch das Rauchen, das Rauchen durch Essanfälle, das Essen durch übermässigen Sport usw. All dies, um vor sich selbst zu fliehen.

Suchtmittel sind Fluchtmittel – aber man kann sie auch dazu einsetzen, sich selbst näher zu kommen. Wie Babs, die ihren zweiten Vorsatz etwas differenzierter formuliert: «Ich will herausfinden, warum ich das Rauchen brauche.» Sie beginnt ein «Rauchtagebuch», in dem sie jede Zigarette dokumentiert und aufschreibt, warum sie sie anzündet, wie sie sich davor und danach fühlt und was sie tun würde, wenn sie keine zur Hand hätte. So lernt sie ihr Verhaltensmuster kennen.

Das Rauchen hinauszögern

Mit der Zeit beginnt sie, in bestimmten Situationen bewusst nicht zu rauchen oder das Rauchen hinauszuzögern, ihren Gefühlen dabei nachzugehen und mit anderen Verhaltensweisen zu experimentieren. Gleichzeitig gönnt sie sich jede Zigarette, zu der sie bei Bedarf greift. Diese Zigaretten sind wie Tankstellen auf Babs' Weg in neues Verhaltensterritorium. Dieser Weg kann viele Monate dauern und wird möglicherweise von Rückfällen in haltloses Rauchverhalten gepflastert sein.

Aber sie sollte sich auch diese Rückfälle gönnen und ihr Selbstvertrauen aus den Zeiten schöpfen, in denen es ihr gelingt, ihre Sucht konstruktiv zur Arbeit an sich selbst einzusetzen. Und ganz allmählich gewöhnt sich ihr Gehirn um: von alten zu neuen Verhaltensweisen, deren Ziel nicht die Selbstflucht, sondern die Selbstverwirklichung ist. Und die Zeit dazu reif ist, wird sich Babs' Vorsatz, Nichtraucherin zu sein, wie von selbst erfüllen.

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