Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

24.4.2003

Der Schlag ins Gesicht

Das Leben spielt nicht immer fair. Akzeptieren Sie es. Denn Rückschläge öffnen die Tür zu Neuem.

Leo sitzt mit seinem Schwager Adi in der Bar und schimpft: «Dieser miese Schmid! Diese Ratte! Umschwänzelt den Chef und wühlt sich in seine Gunst rein! Und jetzt ist er befördert worden! Dabei wäre ich dran gewesen! Ich bin länger bei der Firma und viel qualifizierter!»

Er nimmt einen Schluck Bier und knurrt: «Es ist, als ob ich eine Ohrfeige gekriegt hätte und nicht zurückschlagen kann!» Adi, ein krisengeübter Internet-Fachmann, nickt mitfühlend: «Ist mir mehr als einmal passiert. Soll ich dir einen Tipp geben?»

Die Tatsachen annehmen

Leo blickt interessiert auf. «Akzeptiere Schmids Beförderung.» Leo runzelt die Stirn. Adi fährt fort: «Pass auf, dass du nicht in deiner Vorstellung davon, was sein sollte, hängen bleibst. So verpasst du es nur, mit der Wirklichkeit, wie sie ist, umzugehen, und so übersiehst du auch die Möglichkeiten, die sie für deine Zukunft birgt. Wenn es nach dir ginge, wärst du befördert worden. Doch du schreibst die Regeln nur in deiner Vorstellungswelt. In der Wirklichkeit schreibt sie das Leben. Diese Regeln erscheinen uns nicht immer fair, und doch müssen wir sie akzeptieren.»

Adi zitiert den Schriftsteller Henry Miller: «Das Leben passiert dir, während du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu machen.» Das Leben hat deine Pläne durchkreuzt, in dem es Schmid befördern liess.» Leo schweigt finster. Adi fährt fort: «Stell dir eine Zitrone vor. Welche Farbe hat sie?» «Gelb.» «Wenn du sie durch eine Brille mit blauen Gläsern anschaust, welche Farbe hat sie dann?» «Grün.» «Nein», kontert Adi: «Du siehst sie durch einen Filter, und darum erscheint sie grün. In Wirklichkeit aber ist und bleibt die Zitrone gelb.»

«Von mir aus», meint Leo, «na und?» «Du siehst Schmids Beförderung durch deine persönliche Brille, und so erscheint sie dir falsch. Wenn du die Brille absetzt, siehst du die Wirklichkeit, ohne Filter, ohne Wertung: Schmid ist befördert worden. Basta. So hart es klingt, aber so sollte es sein – denn so ist es. Das Leben läuft nicht richtig oder falsch – es läuft einfach. Und das ist gut so.»

Er denkt kurz nach. «Weisst du, mir hilft es, wenn ich unschöne Situationen am grossen Lauf der Dinge messe. So gesehen ist Schmids Beförderung nichts als ein kleiner Impuls in deinem Lebenslauf. Auf die Dauer gesehen wirst du daraus etwas machen: Jede noch so üble Situation öffnet die Tür zu etwas Neuem. Das ist das Schöne am Leben. Schreib mal auf, wo dir das Leben dazwischengefunkt hat und was du daraus gemacht hast. Das tut gut.»

Die Energie besser nutzen

Leo überlegt: Was soll er aus Schmids Beförderung machen? Soll er kündigen? Das Gespräch mit seinem Chef suchen? «Eigentlich verunsichert mich die Situation», gibt er zu. Adi meint: «Klar. Wenns nicht nach Plan läuft, muss man Sachen hinterfragen, umdenken, Altes hinter sich lassen, Neuland betreten. Kein Wunder, dass das Akzeptieren dieser Wirklichkeit schwer fällt, denn sie ist beängstigend und energieaufwändig. Spar dir also die Wut auf Schmid: Deine Energie kannst du jetzt besser nutzen!»

Leo nickt seufzend und hebt sein Glas: «Auf das Schöne, das nicht mehr ist, und auf das Neue, das da kommt.» Adi fügt an: «Auf das Leben – unfair, wie es ist.»

Handeln statt ausharren