Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

17.4.2003

Gefangen in einem Ideal

Was hinter der Sehnsucht nach der Traumfrau steckt, und warum sie nach der Eroberung oft uninteressant wird.

Vor vier Jahren verliebte sich Bernd unsterblich in Luise. Er ging auf einen von Liebesbriefen, Geschenken und Blumen gepflasterten Eroberungsfeldzug, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Nach anfänglichem Zögern wurde sie schwach. Doch sobald die zwei ein Paar waren, änderte sich sein Verhalten schlagartig. Der Charme wich verächtlichem Zynismus, Bernd wurde kalt, ja abweisend. Luise war verunsichert, verletzt und suchte den Fehler bei sich. Doch je mehr sie versuchte, Bernd zu gefallen, desto abweisender wurde er.

Das Schema wiederholt sich

Als er schliesslich begann, in ihrer Gegenwart heftig mit anderen Frauen zu flirten, reichte es ihr, und sie verliess ihn. Bernd schien das egal zu sein. Doch drei Wochen später stand er wieder vor ihrer Tür, reumütig, seine Liebe zu ihr, der «wahren Traumfrau», beteuernd. Luise liess sich erweichen. Kaum aber waren sie wieder zusammen, wiederholte sich das Schema: Bernds Vergötterung schlug in Verachtung um. Und wieder litt sie, und wieder verliess sie ihn. Diese Slalomfahrt dauert schon vier Jahre an.

Treibt Bernd mit Luise ein sadistisches Spiel? Nein – er handelt so, wie seine Gefühle es ihm diktieren: Wenn ihm Luise die kalte Schulter zeigt, verzehrt er sich schier vor Sehnsucht nach ihr. Wenn sie ihm ihre Liebe und Bewunderung schenkt, schlagen seine Gefühle ins Gegenteil um. Denn er fühlt sich bedrängt, ja bedroht.

Dieses Gefühl erinnert ihn vage an seine Kindheit. Er war der Augapfel seiner Mutter. Rückwirkend findet er, dass sie ihn nach ihrer Vorstellung formte, als wäre er ein Teil von ihr. In ihrer Liebe war kein Platz für seine Bedürfnisse oder die Entfaltung seines Selbst. So wie er die Beziehung mit seiner Mutter erlebte, so versteht er heute die Liebe: als Verschmelzung bei gleichzeitiger Selbstaufgabe.

Da ist es verständlich, dass Bernd Frauen und der Liebe gegenüber gemischte Gefühle hat. Einerseits sehnt er sich danach, völlig im wohligen Eins aufzugehen – ein Gefühl, wie es wohl nur ein Säugling erlebt. Andererseits befürchtet er, seine Partnerinnen wollten ihn mit ihrer Liebe manipulieren, ihn in ein Idealbild zwängen, das seinen Bedürfnissen, seinem Selbst nicht gerecht wird.

Selbstbestätigung statt Liebe

Im Prinzip fühlt sich Bernd am wohlsten als Single, der in einer romantischen Traumwelt die Idealfrau aus sicherer Ferne anhimmelt und dessen Eroberungsfeldzüge nicht eine Beziehung, sondern allein die Selbstbestätigung zum Ziel haben. Würde er den Sprung in eine echte Beziehung wagen, so hiesse das die Verabschiedung von einem unrealistischen, beängstigenden Liebesmuster, das ihm in frühester Jugend aufgeprägt wurde.

Wahrscheinlich würde er sich dann kritisch mit seiner Mutter auseinander setzen, an die ihn Gefühle von Schuld und Groll binden: Schuld, weil er ihrem Idealbild nie entsprechen konnte, Groll, weil er ihm insgeheim nicht entsprechen wollte. Es ist Bernds Wahl, ob und wann er diese Auseinandersetzung anpacken und wie er sein Beziehungsleben gestalten will.

Und Luise? Auch sie hat die Wahl; zwischen der Sehnsucht nach der Beziehung mit dem Märchenprinzen, den ihr Bernd immer wieder vorgaukelt, und der Realität, in der Bernd Bernd ist: nicht gerade ein Frosch, aber ein Mann, zu dem eine echte Beziehung zurzeit wohl kaum möglich ist.

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