Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
3.4.2003
Manche wählen eine Affäre als Ausweg aus der Ehekrise. Dabei wirken offene Gespräche mit dem Partner Wunder.
Bea holt tief Luft: «Ich habe mich in Max verliebt. Ich glaube, es ist gegenseitig.» Stille am anderen Ende der Leitung. «Ich weiss nicht, was ich tun soll, Kati!» «Hast dus Rolf erzählt?» «Nein, stell dir vor! Nach 17 Jahren Ehe! Für ihn würde eine Welt zusammenbrechen!» «Ist zwischen dir und Max schon ... etwas passiert?» «Nein! Ich will das nicht! Aber ich muss ständig an Max denken!»
«Also, Schwesterchen, eigentlich überrascht mich das Ganze ja nicht», findet Kati. «Wie? Wieso?» «Na, du redest ja schon seit einiger Zeit von der Langeweile und der Abkühlung in eurer Ehe.» «Aber das ist doch normal! Nach 17 Jahren hat man sich nun mal nicht mehr so viel zu sagen!» «Na, ich weiss nicht, Bea. Ich glaube, du hättest deinem Mann eine Menge zu sagen.» «Was denn?» «Na, zum Beispiel, dass du unglücklich mit eurem Liebesleben bist!»
Tabu-Themen ansprechen
«Darüber kann ich mit ihm nicht reden!», kontert Bea spontan. «Und warum?» Bea überlegt. Über gewisse Themen redet sie mit Rolf nicht mehr – über Dinge, die sie in ihrem Innersten bewegen. Es ist, als ob ihre Ehe diese Themen nicht vertrüge, als ob ungeschriebene Gesetze bestimmten, wie sie und Rolf sich benehmen und was sie sagen dürfen, damit die Ehe nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Dieses Gleichgewicht erscheint ihr so labil, die Ehe wie ein Haufen Mikadostäbe, der bei der kleinsten Bewegung zusammenfällt. Aber Bea hungert nach Bewegung, nach Aufbruch, nach Leben. Sie spürt, dass die Spielregeln ihrer Ehe verjährt sind.
Kati unterbricht ihren Gedankengang: «Warum kannst du mit Rolf nicht reden?» Ja, warum? Weil sie nicht weiss, ob auch er zu Bewegung bereit ist. «Ich habe Angst, ihn zu verlieren.» «Wenn ihr nicht redet, verliert ihr euch doch auch – zumindest den Zugang zueinander», findet Kati. «Wo keine Offenheit ist, ist auch keine Leidenschaft. Kein Wunder, dass du dich in einen anderen verliebst.» Bea seufzt: «Was soll ich tun?» «Viele Eheleute stillen ihre Bedürfnisse in heimlichen Affären und ertragen so die kühle Enge ihrer Ehe ...» «Nein», unterbricht Bea, «das will ich nicht!»
Die Kriterien neu überdenken
«Oder du könntest Max zum Prinzen deiner Tagträume machen ..., oder du könntest dich Rolf gegenüber öffnen und ihm deine Unzufriedenheit und Sehnsüchte mitteilen. Und eine Ehekrise in Kauf nehmen. Schliesslich sind Ehekrisen dazu da, das Gerüst der Ehe zu hinterfragen und zu renovieren.» «Manchmal geht die Ehe dabei auch drauf», murmelt Bea. «Oder sie wird wieder zum Leben erweckt, Bea. Gib deiner Ehe doch eine Chance! Schliesslich ist da irgendwo Liebe!»
Bea überlegt: Die Ehe wieder zum Leben erwecken? Will sie das? Was will sie? Liebt sie Rolf wirklich? Wer ist Rolf eigentlich? Plötzlich sieht sie lauter Fragezeichen. Wie einfach wäre doch die Flucht zu Max! Doch es wäre eine Flucht in die Illusion. Gezeichnet durch Untreue und Unehrlichkeit – nicht nur Rolf, sondern auch sich selbst gegenüber. Bea entschliesst sich für Treue und Ehrlichkeit. Sie will ihrer Ehe noch einmal eine Chance geben.