Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie
13.3.2003 1
Wenn Paare Eltern werden, kommt ihr Sexleben oft zu kurz. Wie können sie damit umgehen?
Das gemeinsame Kind erscheint vielen Paaren als der Höhepunkt ihrer Liebe. Doch wenn es da ist, wird die Beziehung auf eine harte Probe gestellt. Plötzlich ist die Zweisamkeit dahin – etwas Neues steht im Zentrum, das lauthals nach Aufmerksamkeit schreit. Da ist es völlig normal, dass das Sexleben zunächst einmal abkühlt.
Die Lustlosigkeit hat zum einen handfeste Gründe wie Erschöpfung, Zeitknappheit und den Hormonhaushalt der stillenden Mutter. Zum anderen herrscht im Seelenleben beider Partner ein Durcheinander. Schliesslich müssen sie sich in ihrer neuen Rolle als Vater und Mutter erst finden und damit fertig werden, dass nichts mehr so ist wie zuvor. Das kann zu Frust und Konflikten führen – und das sind garantierte Lustkiller.
Lust liebt Nähe
Lust liebt Nähe, nicht Entzweiung. Die Schwierigkeiten, die ein Kind mit sich bringt, dürfen die Partner nicht auseinander treiben. Die Herausforderung besteht deshalb darin, das Kind in die Partnerschaft zu integrieren. Nicht gegeneinander, sondern miteinander Eltern sein heisst die Devise. Das bedeutet, dass die Frau den Mann so viel wie möglich an der Intimität zwischen ihr und dem Kind teilhaben lässt, ihm hilft, seine Scheu abzubauen, und in seine Fähigkeiten als Vater vertraut. Der Mann wiederum akzeptiert, dass er ein Weilchen lang die Nummer zwei sein wird, und unterstützt und umsorgt seine Partnerin, wo er nur kann.
Das gemeinsame Elternsein kann für beide Partner sehr erfüllend sein. Und doch sollten sie sich genug Zeit für Zweisamkeit freischaufeln. Hier wirkt der Einsatz von Babysittern und Omas Wunder. Keine Mutter, kein Vater muss dabei ein schlechtes Gewissen haben: Auf die Dauer profitiert die ganze Familie davon, denn Eltern brauchen nun mal Zeit für sich, und sie brauchen Zeit füreinander. Zeit, sich anzunähern, einander immer wieder neu zu entdecken, gemeinsam Sachen zu unternehmen, miteinander zu reden – kurz: Zeit, ihre Intimität zu pflegen. Denn der Weg zur Lust führt über die Intimität. Lust empfinden heisst nämlich, dass man dem Partner sein Innerstes preisgibt.
Grenzen akzeptieren
Auch bei glücklichen Paaren kann die Lust manchmal wochenlang ausbleiben. Sie lässt sich nicht erzwingen. Daher sollte jeder Partner die Grenzen des anderen akzeptieren. Es gibt viele Arten, körperliche Intimität zu leben – es muss nicht immer Sex sein. Umarmungen, Streicheleinheiten und Massagen helfen beiden Partnern, sich selbst und einander zu spüren und eine entspannte Nähe zu zelebrieren, deren Ziel nicht der Sex, sondern allein der Genuss ist: der Genuss des eigenen Körpers. Genau der führt allmählich, auch wieder zur Lust auf Sex.
Lust kommt und geht. Bei jedem Menschen. Wenn eine Partnerschaft auf Nähe und Intimität gründet, können Phasen der Lustlosigkeit sie nicht aus dem Gleis werfen. Ein Kind führt im Allgemeinen zu einem temporären Absacken der Lust, auf die Dauer kann die Beziehung aber durch die gemeinsam erlebte Elternschaft reicher und tiefer werden – und das ist der Lust nur förderlich.
Buchtipp
Lonnie Barbach: «Mehr Lust»
Rowohlt, Reinbek, 2002