Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

16.1.2003

Bleiben Sie standfest

Emotionale Erpresser nutzen die Schwächen anderer aus, um zu manipulieren. So haben sie keine Chance.

Häufig hat der eine den anderen so richtig im Griff: Der Vater, der dem Sohn mit Enterbung droht, wenn dieser das Familiengeschäft nicht übernimmt. Der Mann, der seine Partnerin mit Wutausbrüchen an der kurzen Leine hält. Der Chef, der seinem Angestellten die Beförderung verspricht, aber nur, wenn dieser lauter Sonderaufgaben für ihn erledigt. Die Mutter, die ihre Tochter mit Jammern zum Mädchen für alles macht.

Das alles sind Beispiele emotionaler Erpressung. Dabei nutzt der eine die Schuldgefühle, die Ängste, das Pflichtbewusstsein oder das Mitgefühl des anderen aus, um das zu bekommen, was er will. Dieses Muster schleicht sich meist unbewusst ein. Jedes Mal, wenn das «Opfer» mitspielt, wird der Erpresser in seinem Verhalten bestärkt. Er wird es nie ändern; es liegt am anderen, das Schema zu durchbrechen.

Das Schema durchbrechen

Dazu muss er einsehen, dass er diese schlechte Behandlung schlicht nicht verdient und dass sie nicht etwa auf seine mangelnde Loyalität zurückführt, sondern auf das überhöhte Macht- und Kontrollbedürfnis des Erpressers, dem die Bedürfnisse seines «Opfers» egal sind. Dieser beweist vor allem eins: ein niederes Selbstvertrauen, ein Gefühl der Ohnmacht, das ihn dazu treibt, unsouverän und unfair zu kämpfen.

«Moment mal, was passiert hier eigentlich?», sollte sich darum jeder fragen, der sich dabei ertappt, nach der Pfeife eines anderen zu tanzen. «Was will diese Person von mir?» Womit versucht sie es zu erreichen? Mit Wut, Schmollen, Jammern, Drohungen, Vorwürfen? Welche Gefühle löst sie damit in mir aus? Angst vor Strafe? Angst vor Liebesentzug? Schuldgefühle? Minderwertigkeitsgefühle? Wer einem emotionalen Erpresser nachgibt, weicht immer unangenehmen Gefühlen aus.

Um das Erpresserspiel zu durchbrechen, heisst es darum «durchhalten», sich den Gefühlen aussetzen und dem Erpresser offen und selbstbewusst durchgeben, was man will und bereit ist, zu akzeptieren. «Die schlimmsten Tyrannen kollabieren, wenn ihr Gegenüber seinen eigenen Standpunkt klarstellt und für sich selbst einsteht», sagt die amerikanische Therapeutin Susan Forward.

Die Selbstachtung stärken

Der Kampf gegen die emotionale Erpressung besteht also nicht darin, den Erpresser zu verändern, sondern sich ihm gegenüber zu emanzipieren. Denn wer seine Selbstachtung von der Meinung des anderen abhängig macht, ist manipulierbar und somit ein klassisches Opfer. Wer seine Selbstachtung hingegen aus sich selbst schöpft, wird immun gegenüber emotionaler Erpressung. Der Weg zu mehr Selbstachtung und Unabhängigkeit ist oft lang und beschwerlich, aber jeder Mensch sollte ihn sich zu einem Hauptziel machen.

Freunde, Persönlichkeitstrainings, Selbsthilfegruppen und weitere Ressourcen können dabei helfen. Wer sich so aus der Schlinge der emotionalen Erpressung befreit, gewinnt immer, auch wenn eine Beziehung manchmal dabei in die Brüche geht.

Tipps für Unabhängigkeit

Buchtipp

Susan Forward: «Emotionale Erpressung»
Goldmann, München, 2000