Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

12.12. 2002 0

Die Weihnachtskünstler

Die Familie verwöhnen und bei Laune halten ist für viele ein Stress. Er lässt sich erfolgreich vermeiden.

Tante Frieda sticht kritisch in die Weihnachtsgans: «Ich habs gewusst, mit deiner Füllung wird das Tier zu trocken.» Doris seufzt. Wie schön wars doch damals, als es den Weihnachtsmann noch gab und sie vor dem Tannenbaum kindliche Momente absoluter Glückseligkeit erlebte.

Heute ist Weihnachten für sie weniger ein Grund zum Frohlocken. Da ist einmal der Erwartungsdruck: Sie soll alle beglücken und ein gelungenes Fest schmeissen. Dann die Last der Traditionen: Alle Jahre wieder blühen ihr die Gans, der Geschenkekauf und der Besuch von Tante Frieda. Nicht zu reden vom Familienkrach, da sich ihre Lieben an Weihnachten mit Garantie von der streitlustigsten Seite zeigen. Und nicht zu vergessen die Überlastung. Weil Einkaufshektik, Mammut-Kochaktionen und der Riesentrubel empfindlich mit dem urmenschlichen Bedürfnis nach Winterschlaf kollidieren.

Das grosse Glück gibt es nicht

Wäre Doris eine Weihnachtskünstlerin, so gäbe es statt Erwartungsdruck eine gute Portion Realismus: Weihnachtskünstler akzeptieren, dass es das perfekte Weihnachtsglück nicht gibt – erst recht nicht im Dezember, wo der Mensch rein wetterbedingt Trübsal bläst. Sie stellen sich auf mürrische Gesichter ein, auf Regenwetter und verbranntes Essen. Und freuen sich über alles, was nicht schief geht.

Statt auf Tradition setzen sie auf Kommunikation. Dass Weihnachten alle Jahre wieder gleich abläuft, hängt oft nur an der irrigen Annahme, dass es die anderen so wollen.

Darum suchen die Weihnachtskünstler das Gespräch. Sie reden über ihre Erwartungen und handeln Kompromisse aus: Dieses Jahr heisst es Gutscheine statt Geschenke. Spiele statt Langeweile. Pizza statt Weihnachtsgans. Kino- statt Verwandtenbesuch. Papa statt Mama in der Küche. So tüfteln sie jedes Jahr ihre eigene Weihnachtstradition aus.

Familienkrach bekämpfen sie mit Aktivität: Die Lieben brauchen in der Feiertagsfaulheit Beschäftigung, sonst werden sie nervös und gereizt. Weihnachtskünstler versehen Tanten, Onkel und Omas mit Ehrenämtern wie Silberputzen, Veloreparieren und Fotos-Sortieren und tischen zum Dessert Puzzlespiele mit 10000 Stücken auf.

Ganz lammfromm werden die Lieben bei Hallenbadbesuchen, Schlittelplausch und sonstigen Aktionen, die sie so richtig ins Schwitzen bringen: Wer ordentlich Kalorien abbaut, baut auch Frust ab. Und gegen den Durst gibts Getränke ohne Alkohol. Denn zu viel Alkohol führt immer zu Krach.

Sich selbst etwas gönnen

Der Überlastung schliesslich wirken die Weihnachtskünstler mit einer gesunden Portion Egoismus entgegen. Sie wissen, dass sie ihr Bestes nur dann geben können, wenn sie erholt sind und selbst genug bekommen. Schön und gut, sagt Doris, aber genau da machen die anderen halt manchmal nicht mit.

Die Weihnachtskünstler lassen sich da nicht beirren. Sie erkennen, dass ihr eigenes Wohl wichtiger ist als das von Tante Frieda: Sie pflegen das Kind in sich, das heimlich dem Weihnachtsmann nachtrauert. Sie gönnen sich ruhige, private Weihnachtsmomente. Sie lehnen sich in der Badewanne zurück und hören in sich hinein, schreiben Gedanken und Wünsche auf. Sie schenken sich selbst Aufmerksamkeit. Denn das ist das schönste Geschenk, das sich ein Mensch geben kann.

Tipps zum Umgang mit dem Weihnachtsstress