Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

28.11.2002 8

Von Mann zu Mann

Weil sie stark wirken wollen, behalten sie ihre Probleme für sich. Dabei ist derjenige, der offen redet, der wahre Held.

Wenn die Frau ein Problem hat, ruft sie ihre Freundin an. Wenn der Mann ein Problem hat, verzieht er sich in seine Höhle und grübelt. Er teilt seinen Kollegen sein Innerstes, seine Schwächen nicht gern mit. Denn wenn er sich diese Blösse gibt, macht er sich verletzlich. Und das kann sich ein richtiger Mann nicht leisten: Er muss stark sein, stärker als sein Gegenüber.

Dieses Gebot stammt aus Urzeiten, wo der Mann noch jagen und sein Weib beschützen musste und wo nur der Stärkere überlebte. Angst, Besorgtheit oder Unsicherheit waren nicht erlaubt, denn sie sind ein Zeichen von Schwäche. Nur Wut drückt Stärke aus. Und darum war Wut das einzige negative Gefühl, das sich der Urzeitmann leisten durfte.

Von klein auf stark sein

Diese alte Überlebensformel gilt bei vielen Männern noch heute. Schon als Abc-Schützen haben sie gelernt, sich ihrer «schwachen» Gefühle zu schämen, sie zu unterdrücken und in Wut umzuwandeln.

In den Worten des amerikanischen Psychotherapeuten Mark Alan Campbell: «Wut ist eine Art, Gefühle auszudrücken, die man nicht ausdrücken kann.» Darum gelten unter Männern so aggressive Umgangsformen. Das beginnt mit dem freundschaftlichen Schlag auf den Rücken und endet bei der handgreiflichen Auseinandersetzung. Und in Diskussionen und Stammtischrunden geht es oft vor allem darum, klarzustellen, wer der Stärkere ist.

Frauen sind keine Gefahr

Dieses Denken steht echten, offenen Freundschaften im Weg. Viele Männer haben daher wenige bis gar keine engen Freunde; oft ist die Partnerin die einzige Person, der gegenüber sie sich erlauben, Schwäche zu zeigen. Klar, denn Frauen sind von Natur aus schwächer und darum nicht so gefährlich. – So dachte schon der Neandertaler, und unbewusst empfinden viele Männer heute noch so, obwohl die Regeln der Urzeit längst nicht mehr gelten. Heute überlebt nicht der Stärkere, sondern der mit dem gesünderen Gefühlshaushalt: Er ist weniger anfällig für Depressionen, Süchte und Krankheiten.

Freunde sind wie Medizin

Einsamkeit ist Gift für den Gefühlshaushalt. Umgekehrt sind gute Freunde für die Seele die beste Medizin. Schweigen macht einsam. Reden macht Freunde. Der Gescheitere ist darum der, der sein Schweigen bricht. Dazu muss er sich seine Schwäche zugestehen: Wer sich mit den «schwachen» Gefühlen hinter seiner Wut vertraut macht, kommt weiter als der, der ihnen machtlos ausgesetzt ist. Wer sich eingesteht, dass er ein Problem nicht selbst lösen kann, kommt weiter als der, der in seiner Höhle erfolglos vor sich hingrübelt.

Wer daraus die Konsequenz zieht und seine Gefühle mitteilt, setzt sich seinem Gegenüber schutzlos aus und kommt damit weiter als der, der sich hinter Imponiergehabe verschanzt. Und er gewinnt den Respekt des Gegenübers. Denn indem er seine vermeintliche Stärke aufgibt, beweist er echten Mut. Und der Mutige erntet nicht Verachtung, sondern Bewunderung und Zuneigung.

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