Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

7.11.2002 5

Nur nicht zu perfekt

Weil sie gut ankommen wollen, streben Perfektionisten Höchstleistungen an. Doch damit sabotieren sie ihr Ziel.

Lisa putzt und putzt – und trotzdem wird der Haushalt nie sauber genug. Maria schreibt ihre Semesterarbeit schon zum vierten Mal um und ist immer noch nicht zufrieden. Gerhart verzweifelt schier, weil das Soufflé im Kochbuch so viel besser aussieht als seines.

Lisa, Maria und Gerhart sind Perfektionisten: Sie leiden am nagenden Gefühl, dass das, was sie machen, nicht gut genug ist, und unter dem Drang, mehr als 100 Prozent zu geben, damit man ja nicht Gefahr läuft, zu wenig zu geben. Sie leiden an der Unfähigkeit, etwas abzuschliessen oder gar anzufangen, aus Angst davor, zu versagen, und der Vorstellung, dass man alles daransetzen muss, um die Unzulänglichkeit zu verbergen.

Bereits als Kind gelernt

Perfektionismus ist weit verbreitet. Das ist kein Wunder, denn die meisten haben schon als Kind gelernt, dass gute Leistungen etwas Gutes sind. Da wurde gelobt und belohnt, wenn man eine gute Note nach Hause brachte; für schlechte Noten hingegen setzte es eine Strafe. Das Kind lernt: «Wenn ich bessere Leistungen erbringe, werde ich mehr geliebt.» Dieses Gefühl schwingt bei vielen bis ins Erwachsenenalter mit. Für sie bedeutet Leistung Liebenswertigkeit. Sie richten ihre eigene Wertschätzung am Lob und an der Anerkennung der anderen aus.

Kritik wird vor diesem Hintergrund schlecht ertragen – sie widerspiegelt Zurückweisung. Aus Angst davor werden Ziele angestrebt, die so hoch sind, dass sie unmöglich erreicht werden können. Das macht den Perfektionisten in seinen Augen zum Versager. Darum steckt er seine Ziele noch höher, und die Versagensangst wird so gross, dass Aufgaben aufgeschoben und zu spät abgeschlossen werden.

Perfektionismus führt nicht zu besseren Leistungen, sondern steht ihnen im Weg.

Aus Angst davor, nicht liebenswert zu sein, weil er nicht perfekt ist, verbirgt der Perfektionist seine Schwächen in einem Mantel aus Perfektion und erscheint daher oft ziemlich unnahbar, arrogant. Das steht seinen Beziehungen im Weg – ja, es macht ihn für sie weniger liebenswert. Auch diesbezüglich sabotiert er sein eigentliches Ziel.

Erst wenn er erkennt, dass es genau seine Schwächen und seine Nichtperfektheit sind, die ihn für seine Mitmenschen liebenswert machen, kann er seinen Perfektionismus überwinden. Er kann seinen Mitmenschen gegenüber Schwächen zugeben. Er kann gezielt versuchen, Dinge nicht so gut zu machen. Er kann Fehler nicht als Versagen ansehen, sondern als Chance dazuzulernen.

Auch das Zweitbeste genügt

Es ist nichts daran auszusetzen, gute Leistungen anzustreben. Vorausgesetzt, man kann sich auch mit weniger als dem Besten zufrieden geben. Das Beste, die Perfektion, ist sowieso eine Illusion – der Mensch ist nun mal nicht perfekt. Der wahre Erfolg liegt nicht in der Höchstleistung, sondern darin, eine Aktion oder einen Arbeitsvorgang zu geniessen, auch wenn das Resultat nicht perfekt ist. Der wahre Erfolg liegt darin, die eigene Nichtperfektheit zu geniessen.

Tipps, um unvollkommen zu werden