Annette Bischof-Campbell: Ratgeber Psychologie

Mut zum Nein

Ein Nein an richtiger Stelle fördert die Lebensqualität und die Leistungsfähigkeit.

Sabine ist dauergestresst. Sie hechelt von Termin zu Termin, versinkt in einem Berg von Pflichten und kann auch nachts kaum abschalten. Ihr Wahlspruch lautet «zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen»; sie sehnt sich nach der Pensionierung. Ihre Kollegin Claudia beginnt den Morgen bei einer gemütlichen Tasse Kaffee und bewahrt den ganzen Tag lang eine entspannte Gelassenheit. Sie scheint vor allem das zu tun, was ihr Spass macht, und Unangenehmes zu delegieren. Ist sie eine schamlose Egoistin, die auf Kosten ihrer Mitmenschen lebt? 

Egoismus als Motor

Nein, sie besitzt einfach das nötige Quäntchen Egoismus, das ihr hilft, für sich zu sorgen. Denn schliesslich ist sie selbst die Quelle ihrer Leistungen. «Unsere eigenen Bedürfnisse gehören auf die Zu-erledigen-Liste. Und zwar auf Platz eins.» so die Hamburger Kommunikationstrainerin und Sachbuchautorin Barbara Berckhan: Wer seine Bedürfnisse ernst nimmt, ist entspannter, ausgeruhter, zufriedener. Und funktioniert dadurch besser – bei der Arbeit, im Freundeskreis, in der Familie. Ein gesundes Mass an Egoismus zu entwickeln ist also das Altruistischste, was man für sein Umfeld tun kann.

Wenn die eigenen Bedürfnisse auf Platz eins stehen, müssen die Bedürfnisse der anderen dann und wann zurückgewiesen werden. Hierbei hilft die gekonnte Anwendung des Wortes «Nein»: Nein zum x-ten Dossier, das von irgendwoher auf den Schreibtisch geflattert ist. Nein zur Belagerung durch jammernde und tratschende Kollegen. Nein zu verwöhnten Kindern und Ehepartnern. Nein zur telefonischen Dauererreichbarkeit.

Standfest bleiben

Das Wort «Nein»  ist ein wirksames Werkzeug, mit dem sich ziemliche Macht ausüben lässt. Das erfordert Mut, denn wer nein sagt, muss zu dem Gesagten stehen und Gegenargumente ertragen. Und die werden kommen – vor allem wenn die lieben Mitmenschen sich gewohnt sind, dass man der magische Müllschlucker ist, der «alles schon irgendwie macht». Sie werden also maulen. Verletzt sein. Ein schlechtes Gewissen provozieren. Doch ein Nein macht niemanden zur faulen Arbeitskraft, zur Rabenmutter, zum unzuverlässigen Kollegen – im Gegenteil: Wer dann zur Verfügung steht, wenn die anderen es wollen und nicht wenn er selbst es will, entwickelt unbewusst eine Abwehrhaltung, eine innere Reibung, die das Leben stressig macht und die Leistungsfähigkeit senkt. In anderen Worten: Das Nein macht uns zu besseren Arbeitskräften, zu besseren Müttern, zu besseren Kollegen.

Dem Umfeld kann mit freundlichen, aber bestimmten Sätzen nachgeholfen werden: «Nein, dafür habe ich keine Zeit, denn ich will mich meiner Hauptaufgabe besser widmen», oder: «Nein, ich will mich ein bisschen zurückziehen, damit ich nachher wieder voll für euch da bin». Solche Sätze, solche Situationen können trainiert werden. Die Standfestigkeit mag zu Beginn gespielt sein, mit der Zeit geht sie in Fleisch und Blut über, und die Mitmenschen werden allmählich umlernen. Vergessen Sie nie: Hinter jedem «Nein» steht ein Ja – ein Ja zu mehr Lebensfreude, ein Ja zu mehr Leistungskraft, ein Ja zu sich selbst.

Tipps für das gekonnte Neinsagen